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José Mourinho – der Mann mit den zwei Gesichtern

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Als Selbstdarsteller, Lügner und gar Fußballfeind verschrien, von seinen Fans jedoch immer verteidigt. José Mourinho ist nicht nur der polarisierendste Coach, er ist auch der populärste.

1,8 Millionen Fans hat er auf Facebook, sechsmal so viel wie Felix Magath, viermal so viel wie Borussia Dortmund. Doch woher kommt diese unheimliche Popularität und Medienpräsenz?

Die Anfänge des José Mourinhos

Bereits als Kind war José Mourinho sehr beliebt: intelligent, zielstrebig und ein Mädchenschwarm. Doch Josés Interesse galt jeher dem Fußball, hauptsächlich aufgrund seines Vaters Félix, der Torhüter in der ersten Liga war und auch die Farben Portugals verteidigen durfte.

Woche für Woche folgte Mourinho jr. dem Senior, um ihn bei seinen Spielen zu unterstützen. Zu Auswärtsspielen trampte der Knirps mit Truckern. Da die damaligen Löhne nicht für eine gesamte Familie ausreichten, mussten die Mourinhos immer etwas von ihrem Vermögen zehren, welches 1974 gen Null ging, als das faschistische Regime gestürzt wurde und die Karten im Land neu verteilt wurden. Nur eines ihrer Grundstücke ging nicht in die Hände anderer über und auch auf den Wohlstand von Josés Mutter Maria konnte man nicht mehr zählen. Auch ihr Bruder, jener Architekt, der unter anderem das Stadion „Estádio do Bonfim“ in Mourinhos Heimatstadt Setúbal entworfen hatte, litt unter Armut.

Als Felix Mourinho ins Trainerbusiness wechselte, zeigte sich das große Talent seines Sohnes, der mithilfe von Statistiken und Beobachtungen des Trainings den nächsten Gegner für seinen Vater analysierte. Doch nicht nur das, er war auch Spieler unter seinem Vater bei Rio Ave. José war somit, entgegen vieler anderslautender Behauptungen, ein Profifußballer; er hatte die Jugendakademie von Belenenses durchlaufen und spielte in seiner Karriere bei Rio Ave, bei Belenenses und Sesimbra. Seine Karriere ließ er bei einem Konzernverein in den unteren Ligen ausklingen, für einen Stammplatz in den Profiligen sollte es nie reichen.

Auch schulisch folgte Mourinho niemals den Wünschen seiner Mutter. Er schrieb sich zwar auf ein kaufmännisches College ein, doch bereits am ersten Tag verließ er die Schule und studierte fortan Sportwissenschaften an der technischen Universität Lissabons. Während seines Studiums übernahm er für sein Praktikum den Sportunterricht an verschiedensten Schulen und schaffte seinen Abschluss nach 5 Jahren mit herausragenden Noten. Doch sein Traum, ein Fußballtrainer zu werden, war noch nicht erloschen. Mourinho besuchte zahlreiche fußballbezogene Kurse und begann bereits damals, seinen jetzigen Stil theoretisch zu definieren.

Die wahre Geburtsstunde des Trainers José Mourinho war jedoch an Heiligabend 1982 – während des Weihnachtsessens bekam sein Vater die telefonische Auskunft, dass er entlassen sei und Mourinho schwor sich an jenem Abend, dass er nie entlassen werden würde. Bis heute ist ihm das gelungen.

Vom Übersetzer zum Trainer

Mourinho, ähnlich wie sein späterer Mentor Louis Van Gaal, legte seinen Job als Sportlehrer beiseite und übernahm eine Jugendmannschaft bei Vitória de Setúbal, bald darauf wurde er Assistenztrainer bei Estrela de Amadora.

Nach Auseinandersetzungen mit Jesualdo Ferreira, ehemaliger Lehrer Mourinhos an der technischen Hochschule in Lissabon, wechselte Mourinho zu Ovarense, welchen er ebenfalls bald verließ. Im Jahre 1992 wurde Bobby Robson Trainer von Sporting Lissabon und suchte nach einem Übersetzer, der gute Englischkenntnisse besaß, die Stadt kannte und außerdem ein hohes fußballerisches Fachwissen benötigte – Mourinho sah sich selbst als die Idealbesetzung, bewarb sich und erhielt die Stelle.

Als Robson nach einer Niederlage gegen Casino Salzburg im UEFA-Cup trotz Spitzenposition in der portugiesischen Liga im Dezember 1993 entlassen wurde und beim FC Porto Trainer wurde, nahm er Mourinho mit.

Die Zeit bei Porto war sehr erfolgreich, der kriselnde Verein mit geringen Zuschauerzahlen gewann 1993 den portugiesischen Pokal (im Finale gegen Sporting) und wurde daraufhin zweimal Meister. Robson übertrug Mourinho in dieser Zeit mehr Aufgaben, der Übersetzer war nun die rechte Hand des Trainers. Er gab dem Trainer Beratung, den Spielern Motivationsreden und trainierte mit ihnen die Defensive, Robson übte die offensiven Spielzüge mit der Mannschaft ein – eine Aufteilung, wie es im American Football üblich ist.

Im Jahr 1996 wurde Robson Trainer des FC Barcelona und er nahm Mourinho, offiziell noch immer Übersetzer, mit. Es zeigte sich ein anderes Talent Mourinhos: in wenigen Monaten lernte er perfektes Katalanisch und machte sich bei Spielern und Fans des FC Barcelona sehr beliebt. Robson übertrug ihm weitere Aufgaben, unter anderem das Abhalten von Pressekonferenzen, das Planen von Trainings und die taktische Vorbereitung auf den nächsten Gegner.

Die Spielzeit 1996/97 verlief sehr erfolgreich, man wurde Vizemeister und gewann den spanischen Pokal, den spanischen Supercup und den Pokal der Pokalsieger. Luis Enrique sieht die damalige Mannschaft sogar als gleichwertig zum heutigen Barçateam und glaubt, man hätte damals auch die Champions League gewonnen. Diese großen Erfolge wurden mit einer spektakulären Spielweise erreicht und als Bobby Robson zum Sportdirektor befördert wurde, erhielt auch Mourinho seine Würdigung, als er offiziell Assistenztrainer wurde und an der Seite von Louis Van Gaal arbeiten durfte.

Abermals übernahm Mourinho das Training der defensiven Organisation, während sich Van Gaal um die Offensive kümmerte und der FC Barcelona wurde in den beiden folgenden Jahren Meister.

Van Gaal erkannte Mourinhos Talent und förderte ihn. Bei kleineren Pokalen wie dem Copa Catalunya, den man 2000 gewann, fungierte Mourinho als Trainer, Van Gaal als sein Assistent. Mourinho übernahm auch die zweite Mannschaft Barcelonas und arbeitete dort bis zu seinem Wechsel zu Benfica Lissabon im September 2000.

Mourinhos Anfangsjahre

Die Zeit bei Benfica fing im sportlichen Bereich gut an für Mourinho, doch es sollte verschiedene Streitigkeiten mit dem Präsidium geben. Der Präsident Benficas, João Vale e Azevedo, wollte ihm als Assistenztrainer Jesualdo Ferreira zur Seite stellen, was Mourinho aufgrund persönlicher Differenzen entschieden ablehnte und den ehemaligen Benfica-Verteidiger Carlos Mozer einstellte – einen Ex-Spieler zum Assistenztrainer zu ernennen, wurde fortan Tradition bei Mourinho.

Nach wenigen Wochen bot ihm Bobby Robson erneut eine Stelle als sein Assistenztrainer mit Aussicht auf seine Nachfolge bei Newcastle an, doch Mourinho lehnte ab, da er nicht glaubte, Robson würde in zwei Jahren für Mourinho Platz machen. Bis Dezember blieb Mourinho Trainer Benficas. Seine Kündigung kam nach einem Zwist mit dem neuen Präsidenten Manuel Vilarinho, der eine vorzeitige Vertragsverlängerung Mourinhos ablehnte. Das Gesuch nach einem neuen Vertrag war Mourinhos Antwort auf Gerüchte, dass der neue Präsident den ehemaligen Spieler Toni als neuen Coach installieren wollte – daraufhin trat Mourinho zurück und Jahre später bereute Vilarinho seine Entscheidung öffentlich.

Aufgrund des Mangels an Angeboten als Cheftrainer wechselte Mourinho im April 2001 zur grauen Maus der portugiesischen Liga, União de Leiria. In der Folgesaison führte er die Mannschaft aus dem unteren Tabellendrittel zu ihrer bis dato besten Vereinsplatzierung, als er mit einem flexiblen 4-4-2-System und Offensivfußball nach Vorbild Robsons und Van Gaals Tabellenfünfter wurde. Bereits im Sommer meldeten Vereine ihr Interesse an, doch bis nach der Winterpause der Saison 2001/02 blieb er Leiria treu, dann wechselte er zum FC Porto als Nachfolger Octávio Machados.

Mourinhos Aufstieg

Mit elf Siegen und zwei Unentschieden aus den letzten 15 Spielen wurde man noch Dritter und Mourinho durfte sich erstmals auf dem Transfermarkt beweisen – mit Nuno Valente, Derlei, Paulo Ferreira und Maniche kamen vier neue Stammspieler, die ersten beiden von Mourinhos ehemaligem Verein Leiria. Unter Mourinho modernisierte sich vieles beim FC Porto, die Webseite wurde aufgefrischt und mit vielen Berichten gefüllt, auch zur Trainingsgestaltung Mourinhos. Die Spielweise wurde dynamischer, Mourinho ließ mit einem sehr aggressiven Pressing und einer hohen Abwehrlinie spielen, was in einer Rekordsaison mündete – 86 Punkte (27 Siege und fünf Unentschieden bei insgesamt 34 Spielen) bedeuteten unglaubliche elf Punkte Vorsprung auf Benfica Lissabon, Mourinhos erster Trainerstation. In Pokalbewerben konnte man ebenfalls Erfolge feiern, der portugiesische Pokal und der UEFA-Cup wanderten nach Porto und machten das Triple perfekt.

Im folgenden Jahr gewann man den portugiesischen Supercup, verlor den europäischen jedoch gegen den AC Mailand. In der portugiesischen Liga knüpfte man an die letztjährigen Erfolge an, verlor nur einmal und wurde bereits fünf Runden vor Schluss Meister.

Das Rautensystem von Mourinho funktionierte hervorragend, mit Deco als Spielmacher, einem klassischen Sturmduo und zwei Box-to-Box-Mittelfeldspielern vor einem klassischen Sechser beherrschte man das Zentrum. Die ausdauernden und aggressiven Außenverteidiger beackerten die Seiten und sorgten für Unterstützung im Angriffsspiel. Die Flexibilität, das schnelle Umschalten und die hervorragende Abseitsfalle sorgten bei den portugiesischen Teams für Verzweiflung und auch international hatten die meisten Teams Probleme mit diesem System, einzig Real Madrid in der Gruppenphase konnte Porto eine Niederlage auf europäischen Gefilden zufügen.

Der Traum vom Triple wurde durch eine Pokalfinalniederlage gegen Benfica zerstört, doch nach zwei Defensivschlachten gegen Deportivo La Coruna gewann man mit einem Offensivspektakel mit 3:0 gegen den AS Monaco. Im Anschluss an diesen Erfolg machte Mourinho keinen Hehl daraus, nun einen anderen Verein übernehmen zu wollen und im Sommer gab es viele Angebote. Als aussichtsreichster Kandidat galt der FC Liverpool, zu dem sich Mourinho begeistert geäußert hatte, doch sie boten ihren Job Rafael Benítez an und Mourinho ging zu Chelsea, über welchen er sich zuvor noch sehr kritisch geäußert hatte.

Vom Provinztrainer zum Auserwählten

In seiner ersten Pressekonferenz bei Chelsea sorgte Mourinho für großes Aufsehen, als er sich als „etwas Besonderes“ bezeichnete und von den Medien zu seinem – bis heute populärsten – Spitznamen „The Special One“ kam. Mit Steve Clarkes Beförderung zum Assistenztrainer als Ergänzung zu seinem Trainerstab begann der Startschuss für zahlreiche, von Mourinho eingeleitete, Veränderungen im Verein. Chelsea-Eigentümer Roman Abramovich ließ Mourinho fast 100 Millionen € ausgeben und bekam bald den Lohn dafür – die erste Meisterschaft seit 50 Jahren und ein Sieg im Ligapokal gegen den FC Liverpool.

In der Folgesaison konnte man Mourinhos Handschrift am stärksten erkennen, als weitere Neuzugänge geholt wurden und die Mannschaft ein kompaktes Gebilde war, welches mit einer ausgeklügelten Taktik, hoher Körperkraft und individueller Stärke schwer zu besiegen war.

Essien und Lampard würden die Mitte übernehmen, Angriffe inszenieren und – insbesondere Lampard – oftmals selbst abschließen. Drogba erzielte zahlreiche Tore, öffnete Räume und an schlechten Tagen des Mittelfeldzentrums würden man eine Art Kick’n’Rush-Fußball mit weiten Bällen auf den körperlich starken Ivorer spielen. Joe Cole und Robben spielten zumeist als klassische Flügelstürmer, tauschten aber in den Spielen öfters die Flügel, um Löcher in die Abwehr zu reißen. Hinten würde Makélélé vor der Abwehr absichern und als Staubsauger fungieren, während R. Carvalho und Terry sich in der Innenverteidigung zwei beinharte Verteidiger rein auf die Defensivarbeit beschränkten. Flankiert wurden sie von einem defensiven und einem offensiven Außenverteidiger. Im Tor stand der tschechische Nationaltorhüter Petr Čech, den Mourinho aus Stade Rennes geholt hatte und der in der Saison 2004/05 zahlreiche Rekorde aufstellte, u.a. 1025 Minuten in Folge ohne Gegentor und die wenigsten Gegentore in einer Saison, nämlich 13 in 35 Spielen.

In der Saison 2005/06 konnte man den Community Shield und eine weitere Meisterschaft holen. Mourinhos wie Abramovichs großes Ziel, die Champions League, verpasste man aber bereits im Achtelfinale. Trotz Abwanderungsgerüchten um Mourinho, hauptsächlich aufgrund Abramovichs großer Freundschaft zu Sportdirektor Arnesen und seinem persönlichen Berater de Visser, wurde die Mannschaft mit Shevchenko, Ballack und Ashley Cole um drei weitere Weltklassespieler verstärkt.

Um von den Gerüchten um seine Person abzulenken, inszenierte Mourinho medial eine Kampagne, die er als „Jagd nach dem Quadruple“ bezeichnete. Sein Vorhaben war es in dieser Saison alle Titel zu gewinnen, doch trotz des FA- und Carling-Cup-Sieges scheiterte man spektakulär und mit viel Spott, als man in der Liga von Manchester United auf Platz 2 verwiesen wurde und in der Champions League dem FC Liverpool unterlag. Am 20. September 2007 verließ Mourinho Chelsea überraschend und nahm sich seine Auszeit vom Trainerjob. Erst im Sommer 2008 bekam er eine neue Trainerstelle: bei Inter Mailand.

Der Messias des Calcio

Von Beginn an konnte man Parallelen zu seiner Zeit bei Chelsea erkennen. Als neuen Assistenztrainer ernannte er Giuseppe Baresi, wie Steve Clarke ehemaliger Spieler des Vereins und vor der Beförderung Jugendtrainer. Auch hier sorgte seine Debütpressekonferenz für Aufsehen, als er in fließendem Italienisch vorstellig wurde und behauptete, er hätte die Sprache in drei Wochen gelernt.

Mit Mancini, Muntari und Quaresma wurden drei Spieler verpflichtet, die ihm eine Systemstellung zu einem 4-3-3 ermöglichen sollten, doch Mancini und Quaresma floppten. Mourinho wechselte auf eine 4-3-1-2-Taktik, welche  an seiner Portozeit orientiert war.

Ibrahimovic war der Freigeist im Sturm, der junge Balotelli kam über die Außen und wurde vom offensivstarken Maicon und von Zanetti unterstützt. Stankovic fungierte als defensivstarker Spielmacher, das Eigengewächs Santon und der Neuzugang Muntari sorgten für die Dynamik auf der linken Seite. Córdoba und Samuel bildeten mit Cambiasso das defensive Dreieck vor Julio Cesar. Die Mannschaft spielte einen sicheren Fußball aus der Defensive heraus und verließ sich hauptsächlich auf Starstürmer Ibrahimovic, national konnte man mit dem Supercup und dem Scudetto Erfolge feiern, doch in der Champions League schied man früh aus.

Mourinho baute seine Mannschaft abermals um, namhafte Spieler wanderten ab, welche Mourinho durch passendere Spieler ersetzte. Chefscout André Villas-Boas verließ seinen Trainerstab. Mit Thiago Motta und Diego Milito kamen aus Genoa zwei neue Stammspieler, im Winter stieß mit Pandev noch einer dazu. Wichtigere Verpflichtungen waren jedoch eher auf Zufall gegründet. Barcelona suchte nach einem neuen Stürmer, da Eto’o Probleme mit Trainer Pep Guardiola nachgesagt wurden und tauschte 70 Millionen € und den Kameruner für Zlatan Ibrahimovic. Wesley Sneijder wurde bei Real Madrid regelrecht hinaus geekelt und wurde für nur 15 Millionen € eine Stütze im Team von Mourinho. Auch der neue Abwehrchef Lúcio kam aufgrund von Problemen mit dem neuen Bayerntrainer Louis Van Gaal.

Zu Beginn der 2009/10-Saison blieb er seinem System aus dem Vorjahr weitgehend treu, als im Winter Pandev kam, wurde das System zu einem 4-2-3-1 umgestellt.

Wesley Sneijder genoss wie Diego Milito alle Freiheiten, während Pandev und Eto’o defensiv mithalfen. Maicon hatte eine Paradesaison, ebenso wie Zanetti und Cambiasso, die ihren x-ten Frühling erlebten. Diese Mannschaft war defensiv extrem stark aufgestellt und hatte in der Offensive hervorragende Individualisten. Nach einem holprigen Start (Niederlage im Supercoppa gegen die Roma) wurde Inter immer stärker, besiegte im Mailänder Derby den AC Mailand mit 4:0 und qualifizierte sich etwas überraschend für das CL-Viertelfinale, nachdem man Mourinhos Ex-Team Chelsea ausgeschaltet hatte.

Man schaltete ZSKA Moskau im Viertelfinale aus und traf im Halbfinale auf den FC Barcelona. In einer beispiellosen Vorstellung konnte man den großen Favoriten im Hinspiel mit 3:1 besiegen und nach einer roten Karte für Motta zu Beginn des Rückspiels wurde die Welt Zeuge eines Defensivfeuerwerks Mourinhos. Das ursprüngliche 4-5-1 wurde zu einem 4-1-3-1-0 umgewandelt und die Katalanen konnten trotz zahlenmäßiger und spielerischer (über 80% Ballbesitz) Überlegenheit nur ein Tor erzielen.

Die Abwehrreihe stand extrem tief und die Außenverteidiger platzierten sich an den Ecken des Sechzehnmeterraumes. Ziel dieser Taktik war es, die Außen aufzugeben, um das Zentrum dicht zu machen, was hervorragend gelang – das 0:1 bezeichnete Mourinho als die schönste Niederlage seines Lebens. Nach dem Schlusspfiff feierte der ehemalige Angestellte des FC Barcelona seinen Sieg frenetisch und zog sich den Unmut der Fußballwelt zu, welche seine Mannschaft als  „Antifußball“, „unwürdig“ und „nur auf Zerstörung aus“ bezeichnete.

Mit dem Erfolg im italienischen Pokal und einem neuerlichen Scudetto war das Triple perfekt und Mourinho trat auf dem Höhepunkt ab, als er nach dem CL-Sieg gegen seinen ehemaligen Lehrmeister Louis Van Gaal seinen Abgang zu Real Madrid verkündete. Die Bilder der weinenden Interisti und seiner Spieler (u.a. Marco Materazzi) gingen um die Welt – nicht nur für die Medien war er „The Special One“.

Ein besonderer Trainer für einen besonderen Verein

Wie in seinen vorhergehenden Vereinen war die Ernennung eines ehemaligen Spielers zum Assistenztrainer eine der ersten Amtshandlungen Mourinhos. Aitor Karanka wurde die Ehre zuteil und ironischerweise war jener wie Steve Clarke bei Chelsea und Giuseppe Baresi bei Inter ein ehemaliger Innenverteidiger. Reals Shoppingtour des Vorjahres wurde unter Mourinho nicht fortgesetzt, es kamen hauptsächliche Spieler mit viel Potenzial für kleines Geld.

Lange Zeit führend in der Primera Division schien es, dass Mourinho seinem persönlichen Intimfeind und Reals Erzfeind Barcelona einen Strich durch die Rechnung machen könnte, doch im ersten Clásico der Saison unterlag man im Camp Nou mit 0:5, was Ehrenpräsident Alfredo di Stefano dazu veranlasste, dieses Spiel als schlimmste Niederlage der Vereinsgeschichte zu deklarieren. José Mourinho ließ sich trotz medialer Kritik nicht aus seinem Konzept bringen, blieb Barcelona auf den Fersen, qualifizierte sich in der Champions League überzeigend für die KO-Phase und schaffte es zum erst zweiten Mal seit dem letzten CL-Sieg ins CL-Viertelfinale, wo man die Tottenham Hotspurs ausschaltete und im Halbfinale auf den FC Barcelona traf.

Da im Copa del Rey-Finale ebenfalls beide Teams standen und das Rückspiel in der Liga günstig lag, durfte sich ganz Spanien über vier Clásicos in drei Wochen freuen, welche Mourinho sehr defensiv begann. Das 1:1 im Santiago-Bernabeu war das Ende der Meisterschaftsträume für Real, doch das Copa-del-Rey-Finale konnte man in der Verlängerung knapp für sich entscheiden. Der Sieg im Copa-del-Rey-Finale zeigt eines deutlich: Mourinhos Matchplan war spielentscheidend.

Der Matchplan basierte auf drei Phasen:

  • erste Halbzeit: Zerstören des Spiels von Barcelona im Mittelfeld, wenn möglich das erste Tor erzielen
  • zweite Halbzeit: tiefstehen und kontern.
  • Verlängerung: Das Tiefstehen sorgte dafür, dass die Spieler Reals in der Verlängerung mehr Ausdauer hatten und wieder das aggressive Mittelfeldpressing nutzen konnten.

Das Ziel und die Umsetzung seiner Taktik war sehr komplex, er versuchte auch Messi und Xavi voneinander und von Iniesta zu isolieren, um den Spielfluss der Katalanen zu zerstören, was in der ersten Halbzeit gelang. In der zweiten Halbzeit musste Pep Guardiola nun sein erfolgreiches System ändern, um mit Mourinho in eine Patt-Stellung zu kommen, doch trotzdem bekam Real kein Gegentor und gewann letztlich in der Verlängerung. Dieser Matchplan führte zum Sieg und wurde chronologisch leicht abgeändert und angepasst an die Begebenheiten des CL-Hinspiels auch im nächsten Spiel gegen die Katalanen genutzt. Einzig die rote Karte, so nach Meinung Mourinhos, verhinderte einen neuerlichen Sieg Reals.

Doch trotz seiner Kritik an der Schauspielerei der Spieler des FC Barcelona, am Schiedsrichter und der UEFA hatten die Medien ein anderes Opfer gefunden – Mourinho selbst. Die Kritik an ihm war ähnlich wie vor einem Jahr, seine Mannschaft spiele destruktiven Fußball, der dem Fußball schade.

Dazu sei angemerkt, dass Mourinho in dieser Saison ein offensives 4-3-3 spielen ließ und mehr Tore als der Erzrivale aus Barcelona erzielte (102 zu 95).

Khedira als box-to-box-player und Xabi Alonso als deeplying-playmaker sorgte für den Spielaufbau und das Grundgerüst dieser großartigen Mannschaft. In der Offensive beackerte Di María die rechte Seite und wurde von Sergio Ramos unterstützt, das Prunkstück war jedoch die linke Seite. Der offensive Marcelo, unter Mourinho erst zum Stammspieler geworden, sorgte mit Cristiano Ronaldo und Mesut Özil für andauernde Gefahr über die linke Seite. Nach der Verletzung Higuains spielten Adebayor und Benzema abwechselnd als Sturmspitze, abhängig vom Gegner. Die Portugiesen Ricardo Carvalho und Pepé bildeten die Innenverteidigung vor Welttorhüter und Kapitän Iker Casillas.

Im Frühjahr wurden Gerüchte laut, Mourinho wollte Real aufgrund Sportdirektor Valdano und den kritischen Medien verlassen, doch Präsident Florentino Pérez dementierte dies. Die Gerüchte erübrigten sich, als Valdano im Sommer entlassen wurde und Zinédine Zidane dessen Nachfolger wurde und mit Nuri Şahin, Hamit Altintop und José Callejón ging man den Weg preiswerter und systemkompatibler Neuverpflichtungen weiter. Für die Zukunft wurde das Riesentalent und Innenverteidiger Raphaël Varane geholt.

Was macht Mourinho so besonders?

José Mourinho gilt als einer der komplettesten Fußballtrainer der Welt. Er machte aus unbekannten Spielern Stars, brachte sie zu konstant starken Leistungen und gewann Titel um Titel. Seine größten Stärken liegen jedoch im Bereich der Mannschaftsführung und Motivation, er verbindet moderne Managementstile und Motivationstheorien, um aus seiner Mannschaft das Maximum zu holen. Loyalität und Ehrlichkeit machen ihn bei seinen Spielern beliebt, außerdem stellt er sich bei jeder Möglichkeit demonstrativ vor sie, sei es beim Vorstand, vor den eigenen Fans oder den Medien. Systematisch nimmt Mourinho die Verantwortung auf sich, stärkt seinen Spielern den Rücken und lenkt die mediale Aufmerksamkeit auf sich. Mourinhos Psychospielchen und über die Presse geführten Auseinandersetzungen sind bereits legendär. Nicht umsonst sagte Everton-Coach David Moyes: “Mourinho hat den Trainerjob sexy gemacht” und zahlreiche Fans stimmen ihm zu – Mourinhos Auftreten weicht von sämtlichen Trainer ab, er ist kantig und provokativ, stellt seine Eloquenz immer in den Dienst der Mannschaft.

Trotz wiederholter Kritik aufgrund Unsportlichkeit zieht Mourinho sämtliche Register:
Bei Inter Mailand ließ er im Winter seine Mannschaft nach der Halbzeitpause solange in der Kabine, bis die Gegner bereits froren. Bei Chelsea beleidigte er Arsené Wenger als Voyeur, bei Real Madrid seinen Vorgänger Pellegrini und seinen Sportdirektor Valdano. Nach der Niederlage gegen den FC Barcelona unterstellte er der UEFA und den Schiedsrichtern Parteilichkeit und Betrug – ein Skandal; doch über die schlechte Leistung seiner Mannschaft redete niemand mehr.

José Mourinhos legt Woche für Woche, in jeder Pressekonferenz, eine Show hin. Pro Monat gibt es über 20 Artikel mit direktem oder indirektem Bezug auf Mourinho im Onlineportal des Guardian – auch Jahre nach seinem Abschied aus London. Seine Spieler danken ihm für diesen Schutz. Sie sind weitgehend aus der Schusslinie der Medien und können sich auf das nächste Spiel konzentrieren. Auch dafür lieben ihn seine Spieler. Materazzi und Drogba weinten um ihn, Ballack und Khedira nennen ihn den besten Trainer der Welt und für Ricardo Carvalho ist es eine fußballerische Liebesgeschichte. Der Verteidiger folgte seinem Landsmann bereits zu drei Vereinen.

Mourinho profitiert ebenfalls von dieser „Alle-gegen-uns“-Stimmung, die er entfacht. Er nutzt sie geschickt, um seinen Spielern eine Siegermentalität zu verpassen, eine Motivation, um jedes Spiel gewinnen zu wollen. Ihnen wird eingeredet, dass man nie nur gegen den nächsten Gegner spielt, sondern immer gegen die ganze Welt, die nur auf einen Ausrutscher wartet. Für seine Spieler wandert Mourinho demonstrativ durchs Feuer, seine Spieler folgen ihm auf dem Platz, sie gewinnen mit ihrer überlegenen Mentalität und Psyche – nicht umsonst sind Mourinho-Teams zumeist die einzigen, die überlegenen Mannschaften wie Barcelona Paroli bieten können. Mourinho:  ”Im Fußball hat der Trainer eine einzigartige Rolle, hier ist er der beste Psychologe.“

Sein Selbstbewusstsein ist jedoch nicht nur gespielt, tatsächlich ist er sehr von sich überzeugt. Laut Mourinho könnte nur George Clooney ihn selbst in einer Verfilmung seines Lebens adäquat verkörpern. Als Nationaltrainer zu arbeiten lehnt er ab, das sei zu langweilig und zu einfach. Über seine Streitereien mit anderen Vereinen sagt er: „auch Jesus wurde nicht von allen geliebt.“

Nicht nur im Presseverhalten ist er ein Vorreiter, auch taktisch gilt er als eine Koryphäe. Seine Mannschaften spielen seit seiner Chelsea-Zeit sehr ähnlich, mit einer massierten und sattelfesten Defensive, die Umschaltmomente und die Unordnung der Gegner dynamisch nutzt. Jedes Spiel wird exakt vorbereitet, seine Spieler bekommen DVDs mit Gegneranalysen, exakte taktische Vorgaben und detaillierte Planung des Trainings. Dicke Ordner zu jedem Team der Welt kann man bei Mourinho finden, alle werden sie Woche für Woche umgesetzt, um seiner Mannschaft die größtmögliche Chance für Triumphe zu bieten; seine Defensivschlachten gegen Barcelona wird kaum ein Fußballfan je vergessen.

Im Training konzentriert er sich zumeist auf den taktischen und den psychologischen Aspekt des Spiels, viel Spiel mit Ball, Unterzahlspiele und Pressingformen sorgen für das Grundgerüst Mourinhos Arbeit. ”Wenn jeder einzelne Spieler klare Anweisungen bekommt, was er zu tun hat, ist in seinem Kopf gar kein Platz mehr für andere Gedanken. Die Taktik, das System, die Gegenspieler, die Spielzüge, das ist das Thema. Alles andere ist total unwichtig”, sagt DFB-Sportpsychologe Werner Mickler und man könnte glauben, es spricht Mourinho aus ihm – dessen Erfolge geben dieser Meinung Recht. 16 Titel in zehn Jahren, zwei CL-Siege und der Ruf als weltbester Trainer eilen ihm voraus.

Neun Jahre lang war er in Liga-Heimspielen unbesiegt, erst 2011 konnte ihn wieder jemand besiegen, nachdem Mourinho noch mit Porto zuletzt gegen Beira-Mar verlor. Trainer wie Prandelli, Ranieri, Wenger, Ferguson, Benitez und viele andere scheiterten über all diese Jahre. 150 Spiele, 125 Siege und 25 Unentschieden lang war man unbesiegt, die erste Niederlage gegen Beira-Mar war zu neunt. Die zweite Niederlage setzte es Sporting de Gijón, als jene in der 90sten Minute mit ihrem ersten Torschuss den Siegtreffer erzielten – zuvor war Real ein reguläres Tor aberkannt worden. Nach dem Spiel klopfte es an der Tür und Mourinho gratulierte seinem Gegenüber Manuel Preciado zu diesem Sieg.

Eine sportliche Geste eines unfairen Sportsmannes.

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