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Rafael Benitez und das vermeidbare Unvermeidliche

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Benitez muss Real Madrid verlassen. Eine Entlassung, die wie nur wenige so viel Zustimmung und Verwunderung gleichzeitig erntet.

Für Trainer ist Real Madrid bekanntlich ein schwieriges Pflaster. Kleinste Misserfolge – beziehungsweise eher der Mangel an großen Erfolgen – werden rigoros bestraft. Bei Rafael Benitez schien eine frühzeitige Entlassung bereits vorprogrammiert.

In unserer Ballnah vor zwei Jahren schrieb ich ein langes Trainerporträt über Benitez. Quintessenz: Eigentlich ein guter Trainer, doch mit ein paar markanten Schwachstellen und zwischenmenschlichen Problemen. Im Laufe der letzten Jahre wurden ein paar seiner Stärken auch noch zum Standard, was zu einer Verringerung seines Status – der von 2003 bis 2009 relativ hoch war – führte.

Bei Inter und Chelsea scheiterte er. Zu jenem Zeitpunkt argumentierte ich, dass seine nächste Entwicklung und noch viel mehr seine nächste Trainerstation darüber Aufschluss geben würden, ob er noch eine Chance auf allerhöchstem Niveau erhalten oder sich mit seinem bisher Erreichten abfinden müssen würde. Bei Napoli war man zwar nicht spektakulär, doch zeigte ansprechende Leistungen und prompt erhielt Benitez – nach Gerüchten um einen Wechsel in die mittleren Tabellenregionen der Premier League – den Job bei Real Madrid.

Sein Status schien aber insbesondere in England bereits zu beschädigt; und Benitez für Real unpassend. Sogar José Mourinho hatte enorme zwischenmenschliche Probleme mit einigen der Spieler und den Medien, Carlo Ancelotti zog sich zwar erfolgreich und anständig aus der Affäre, doch konnte in seiner zweiten Saison nicht konstant Leistungen abrufen (lassen).

Für Benitez also eine unangenehme Situation: Starke Charaktere, enormer Erfolgsdruck von Anfang an, Fokus auf offensiven Fußball mit ästhetischem Mehrwert, der große Gegner aus Katalonien, viele Individualisten – eigentlich konträr zu jenen Kontexten, in denen Benitez ansonsten eher aufblüht.

Dennoch schrien bei der Entlassung einige auf. In den letzten neun Spielen (seit dem Clásico) kam Benitez‘ Real auf 36:11 Tore, 7 Siege, 1 Unentschieden, 1 Niederlage; als einer von sehr wenigen Trainern wurde er nicht nach einer Niederlagenserie, sondern nach einem Unentschieden entlassen. Eigentlich undenkbar – oder? Doch einige enorme strategische und taktische Mängel erklären diesen drastischen Schritt Reals.

Verbindungsprobleme in Ballbesitz

Nach dem Clásico kursierten zahlreiche Bilder, welche Reals nahezu katastrophale Staffelung in eigenem Ballbesitz zeigten und karikierten. Sogar für Laien war eindeutig zu erkennen, dass Real in Ballbesitz kaum eigene Angriffe aufbauen konnte, weil die Verbindungen zu schwach waren.

Vielfach formierten sich die Spieler der ersten und zweiten Linie Reals außerhalb der Formation Barcelonas. Sie zirkulierten den Ball in ihren Reihen vollkommen gefahrlos, während Barcelona ohne nennenswerten Aufwand verschieben und Räume verschließen konnte. Neben der Zirkulationsgeschwindigkeit war aber insbesondere die Verbindung nach vorne problematisch.

Mehrere Spieler stehen im Abseits, dahinter klaffen große Löcher. Wenige Sekunden später trifft Neymar.

Mehrere Spieler stehen im Abseits, dahinter klaffen große Löcher. Wenige Sekunden später trifft Neymar.

Kaum ein Spieler befand sich in den Zwischenlinienräumen. Weder die Zonen vor noch hinter Busquets und Co. wurden konstant von Real-Spielern besetzt. Dies führte dazu, dass die ohnehin langsame Ballzirkulation in den ersten zwei Linien kaum nach vorne übergehen konnte. Man wartete und wartete, doch es boten sich nur selten Passmöglichkeiten.

Leichtes Spiel für Barcelona ohne Ball also. Die Abstände zwischen den Linien waren in der Vertikale zu groß, in der Horizontale waren sie jedoch zu eng. Teilweise spielten sowohl Modric als auch Kroos eng vor den Innenverteidigern, die Außenverteidiger spielten entweder ebenfalls tief oder waren in vorderen Zonen kaum anspielbar, weil die Abstände in der Innenverteidigung und die Besetzung der zentralen Zonen im Mittelfeld nicht vorhanden war.

Wenn dann Pässe nach vorne kamen, hatte Barcelona in Ballnähe Überzahl und konnte Benzema und Co. einfach attackieren. Ballverluste waren die Folge, die Staffelung wiederum erlaubte kein erfolgreiches Gegenpressing.

Desweiteren waren die Bewegungen in vorderen Zonen viel auf Zufall und auf die Bewegung selbst ausgerichtet; anstatt auf den Kontext und die Synergien von mehreren Bewegungen. Mourinho und Ancelotti hatten es zum Beispiel geschafft, die Stärken Cristiano Ronaldos in puncto Durchschlagskraft sehr gut einzubinden und dabei seine Bewegungen für andere Spieler zu nutzen sowie das System und die Spieler um Cristiano so gebaut, dass die Schwächen Cristianos kompensiert wurden.

Quasi eine 6-0-4-Staffelung, in der Bale ein isoliertes Dribbing suchen muss.

Quasi eine 6-0-4-Staffelung, in der Bale ein isoliertes Dribbing suchen muss.

Besonders unter Ancelotti war dies überaus stimmig und für das Kollektiv passend. Unter Benitez fehlt diese Ergänzung der Spieler zueinander im letzten Drittel; teilweise überladen sie eine Zone gemeinsam, ohne sich dabei wirklich zu finden (ergo kaum Kombinationen) und haben keine Unterstützung in den Folgezonen, was dann in Einzelaktionen, Distanzschüssen oder Ballverlusten mündet. Schnelle Verlagerungen oder Folgeaktionen sind Mangelware.

Problematisch ist dies natürlich speziell gegen stärkere Mannschaften, welche kompakter verteidigen. Bei weniger Kompaktheit des Gegners und individueller Unterlegenheit konnte sich Benitez‘ Real eben trotzdem durchsetzen, aber gegen Barcelona, Villarreal und Co. fehlte es an dieser Fähigkeit. Auch gegen PSG hatte man Probleme mit der Durchschlagskraft.

Von Positionsspiel keine Spur. Die Raumaufteilung ist schwach.

Von Positionsspiel keine Spur. Die Raumaufteilung ist schwach; die Abstände sind unpassend, es fehlt an strategisch günstigen Optionen.

Neben dem Spiel mit Ball, gibt es auch Probleme im Spiel ohne den Ball.

Konstanz, Kompaktheit, Kollektivität: Dysharmonie und Dysbalance

Die gegen den Ball stärksten Mannschaften agieren meist mit hoher Intensität, fast durchgehendem Pressing und hoher Kompaktheit – und/oder haben Sergio Busquets auf der Sechs. Es ist eine alte Cruijff’sche Weisheit, dass man grundsätzlich besser verteidigt, wenn man individuell weniger Raum abzudecken hat. Natürlich gibt es auch Ausnahmen oder einzelne Situationen, wo eine Abkehr davon günstig sein kann.

Im Normalfall sind geringe Abstände zwischen den Mannschaftsteilen, gleichmäßige Bewegung, ballorientiertes Verschieben und eine Beteiligung der meisten Spieler in der Arbeit gegen den Ball jedoch unabdinglich. Real hat hier Probleme.

Cristiano Ronaldo erhält z.B. oft eine Freirolle. Unter Mourinho wurde diese durch die enorm guten Abläufe im Spiel nach vorne und einzelne taktische Balancebewegungen der hinteren Linie balanciert, bei Ancelotti war es zuerst Di Maria als linker Achter und später ein klares 4-4-2, die Cristianos geringe Beteiligung auffingen.

Cristiano beteiligt sich nicht an der Arbeit nach hinten. Ein einfacher Pass in die Mitte führt zu einem simplen Anspiel des freien Mannes im rechten Halbraum.

Cristiano beteiligt sich nicht an der Arbeit nach hinten. Ein einfacher Pass in die Mitte führt zu einem simplen Anspiel des freien Mannes im rechten Halbraum.

Unter Benitez ist Cristiano wieder zum Problem geworden. Er spielte in einigen Spielen als linker Flügelstürmer – unter anderem gegen den FC Barcelona – und betätigte sich öfters in tiefen Positionen an der Defensivarbeit, doch konstant wurde es nicht praktiziert. Vor Marcelo taten sich deswegen häufig weite Räume auf, wo Barcelona in Alves, Rakitic oder Sergi Roberto den freien Mann fand.

Cristiano ist aber nur ein Faktor im System. Häufig sind die Abstände auch bei den anderen Spielern nicht passend. Ein wichtiger Aspekt ist der geringe Druck auf Rückpassoptionen in höheren Zonen. Befindet sich der Gegner in einer schwierigen Situation in Reals Spielhälfte, kann er relativ problemlos den Ball in sichere Zonen zirkulieren lassen, die aber nicht weit weg von Reals Tor sind. Dadurch entstehen gefährliche Verlagerungen und Schnittstellenpässe, die schnelle Durchbrüche erzeugen können.

Ursache dafür sind zwei Sachen. Einerseits ist die Formation und die Bewegung darin unsauber. Was wir oft fast schon esoterisch als „Harmonie“ bezeichnen, ist im Grunde nur die Synchronizität der Spieler in ihren Bewegungen. Bei Real rücken häufig Spieler aus den vorderen Linien heraus, ohne dass es durch einen Kettenmechanismus von den Spielern aus der gleichen Linie abgesichert wird oder die Spieler aus der Linie dahinter nachschieben.

In der Bewegung ohne Ball fehlt es an Abstimmung und Gemeinsamkeit.

In der Bewegung ohne Ball fehlt es an Abstimmung und Gemeinsamkeit. Die Kompaktheit leidet darunter.

Geschickte Ballzirkulation kann darum für enorme Probleme bei Real sorgen. Diese Schwäche ist jedoch an eine andere gekoppelt. Unter Benitez war man schlichtweg nicht konstant in puncto Kompaktheit und Zonenbesetzung. Die Abstände waren bereits in statischen Situationen mitunter zu groß, weil die geplante Flexibilität ins Gegenteil schlug.

Benitez probierte häufiger – ob im 4-1-2-3 (mit sehr tiefem Casemiro), im 4-1-4-1 (mit dem inaktiven Cristiano auf rechts) oder einem 4-4-2 – dem Spiel gegen den Ball Stabilität zu verleihen, indem sich Bale und Co. relativ frei bewegen konnten, aber nach Ballverlusten die nächstgelegene Position einnehmen sollten. Das war aber nicht nur zu langsam, sondern häufig unsauber.

Sie konnten die offene Position (wie etwa den linken Flügel) nicht erreichen, weswegen sie dann u.a. anderem in den Zehnerraum trabten. Aus diesen Positionen bewegten sie sich aber nicht passend zur restlichen Mannschaft, wodurch diese eigentlich gute Idee verpuffte. Die entstehenden Staffelungen wurden improvisiert und nicht ordentlich ausgespielt, was dem Gegner Chancen für Raumgewinn ermöglichte.

Der Gegner lässt den Ball laufen, Real ist nicht intensiv genug im ballorientierten Verschieben. Eine schnelle Verlagerung sorgt für einfachen Raumgewinn.

Der Gegner lässt den Ball laufen, Real ist nicht intensiv genug im ballorientierten Verschieben. Eine schnelle Verlagerung von links nach rechts sorgt für einfachen Raumgewinn.

Inkonstantes Spiel im Umschaltmoment

Die Phasen bedingen bekanntlich einander; die soeben erwähnten Probleme Reals im Spiel ohne Ball und im Spiel mit Ball interagierten mit dem Umschaltmoment bzw. den Umschaltmomenten. Relevant: Die flache und unverbundene Staffelung in eigenem Ballbesitz. Hier konnte der Gegner nicht nur die Aufbauversuche simpel leiten, sondern war nach Balleroberungen häufig nicht unter Druck. Man konnte dann Konter gut ausspielen und Raum gewinnen, weil es Real an Zugriff im Gegenpressing und an Präsenz in den tieferen Zonen mangelte.

Hier folgt beim schwierigen Verlagerungsversuch ein Fehlpass in der Mitte. Zugriffsmöglichkeiten im Gegenpressing gehen gen Null.

Hier folgt beim schwierigen Verlagerungsversuch ein Fehlpass in der Mitte. Zugriffsmöglichkeiten im Gegenpressing gehen gen Null.

Der Fokus auf die Rückkehr auf bestimmte Positionen bzw. die Positionswechsel sorgten wiederum dafür, dass der Umschaltmoment länger dauerte und unsauber war. Auch wenn der Gegner nicht unbedingt konterte, so konnte er die offenen Räume nutzen, um sich neu zu organisieren.

Die Probleme beim Umschaltmoment gab es auch in die andere Richtung. Reals traditionell starke Konter waren zwar nach wie vor vorhanden, aber gingen vielfach auch ins Leere. Cristiano Ronaldos Freirolle und die höheren Positionen von insbesondere Bale und Benzema beschleunigten Pässe bei Konteraktionen zwar, aber die mäßige Unterstützung aus tieferen Zonen sowie ein enormer Fokus auf das Kommen hinter die Abwehr – ohne Bindung an die Situation dahinter – sorgten für viele verschwendete Möglichkeiten.

Umschaltspiel als Problemstelle.

Umschaltspiel als Problemstelle. Hier sollte Real eigentlich nach hinten laufen; die drei Stürmer stehen jedoch im Abseits und die Zonen dahinter sind unpassend besetzt. Valencia benötigt nur einen Pass, um fünf Spieler Reals zu überwinden. Die weiten Distanzen der Stürmer stammen aus der Positionierung zuvor und sind eines der größten Probleme.

Anderweitige Probleme …

… möchte ich außen vorlassen. In der heutigen Medienlandschaft ist es schwierig, Fakt von Fiktion  zu trennen. Besser gesagt: Bis auf ein paar wenige Ausnahmen ist es nahezu unmöglich. Real Madrid ist hierbei eine andere Welt in einer anderen Welt. An einem Tag äußert sich der Starspieler positiv über den Trainer, im nächsten Spiel reagiert er allergisch und plötzlich tauchen zig Medienberichte auf, die detailliert Probleme zwischen diesen beschreiben.

Insofern ist es natürlich möglich – vielleicht sogar wahrscheinlich –, dass Benitez mit einigen seiner Spieler nicht klar kam (und vice versa). Den Einfluss dieser Probleme auf taktisch-strategische Aspekte zu analysieren bleibt trotzdem schwierig; auch das Umgekehrte (aus dem sichtbaren Geschehen auf dem Feld Rückschlüsse zu ziehen) ist nicht viel einfacher und oftmals sehr subjektiv bzw. situationsabhängig.

Deswegen legen wir den Fokus in unseren Analysen nicht auf diese Aspekte, auch wenn sie uns bewusst sind, wir vielleicht sogar eine klare und dedizierte Meinung haben und die Relevanz davon erkennen. Ein Aspekt, den ich aber erwähnen möchte: Womöglich ist Benitez gescheitert, weil er Real gerecht werden wollte – und nicht sich selbst. Die oben genannten Probleme sind nicht gerade typisch für Benitez; aber aus dem Grund, dass diese Spielweise für Benitez untypisch ist. Bei der Suche nach mehr Offensive verlor Benitez seine Stärken und – letztlich – auch seinen Posten.

Fazit

Benitez‘ Entlassung war durchaus vorhersehbar. Seine Art spielen zu lassen und zu coachen, passt nicht unbedingt zu Real Madrid. Ein gutes Beispiel war die Partie gegen Rayo Vallecano: Sogar beim Stand von 10:2 in der 91. Minute begannen die Fans zu buhen, als Reals Spieler die Partei gegen zweifach dezimierte Vallecas einfach zu Ende spielen wollten. Diese enorme Gier nach maximalen Erfolg – in jedem Spiel und in jeder Saison – teilt Benitez zwar, doch im Prozess unterscheidet er sich von den Denkstrukturen der Fans, des Vereins und womöglich auch der Spieler massiv. Die dazu kommenden Mängel in Taktik und Strategie sorgten letztlich für seinen Abgang.


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