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Josep Guardiola i Sala, der moderne Visionär

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Pep Guardiola wird in der kommenden Saison der Trainer des FC Bayern München. Wer ist dieser Mann? Was zeichnet ihn aus? Ein Porträt.

Anmerkung: Dieser Artikel erschien im Original am 30. April 2012, kurz nachdem Pep Guardiola seinen Abschied vom FC Barcelona bekannt gab. Da Pep Guardiola ab der kommenden Saison den FC Bayern München trainieren wird, haben wir ihn auf die Startseite gestellt.

Kindheit – und der Weg zum FC Barcelona

Aufgewachsen in Katalonien und am 18. Jänner 1971 in Santpedor geboren, war Josep Guardiola immer etwas Besonderes. Seine Eltern sind sehr bescheiden, seine Großväter lernte er nie kennen. Jener mütterlicherseits versteckte sich in der Nachkriegszeit vor dem Franco-Regime. Eine Gemeinsamkeit mit seinem politischen Großvater ist bis heute seine größte Stärke: Leidenschaft, die teilweise in Besessenheit ausartet.

Mit seinen Freunden spielte er ununterbrochen Fußball und galt auf und neben dem Platz als Anführer. Allerdings blühte er abseits des Freundeskreises und dem Fußballplatz nur selten auf. Er war ein ruhiger und sehr introvertierter Junge, eine weitere Gemeinsamkeit mit seinem älteren Ich. Bei einem dieser Spiele des Gimnàstic de Manresa entdeckte ihn Jorge Naval, ein Scout des großen FC Barcelona. Der ehemalige Schiedsrichter bezeichnete seine Spielweise als “jene eines Engels” und wollte das “Wunder” unbedingt in die Cantera der Katalanen holen.

Jaume Oliver, der damalige Headscout, scheiterte jedoch an Peps Mutter. Ihrer Meinung nach war der elfjährige Engel noch zu jung, um ihr „weggenommen“ zu werden. Dieses Gefühl sollte sie allerdings zwei Jahre später durchleben, als Guardiola dem Ruf Barcelonas folgte und in die vereinseigene Akademie wechselte. La Masia, damals noch nicht ganz so legendär wie heute, bot ihm eine Möglichkeit, die es zuhause nicht gab: Sobald er aufstand, hatte der fußballbesessene Junge den Fußballplatz vor sich.

Schmächtig, unauffällig, schwach und: genial. Diese Attribute verpassten ihm seine Jugendtrainer allesamt. Einst soll ihn Johan Cruijff persönlich spielen gesehen haben, damals noch als Halbspieler oder gar gänzlich auf der rechten Außenbahn. Die Ursache dahinter war, dass er mit seinem Passspiel die Stürmer auf die Flügel schicken könnte, in einem Spiel mit meist nur neun Spielern ein taktisches Mittel früherer Zeiten. Die Position eines rein zentralen Spielers gab es nicht, der Trainer des ersten Teams, Cruijff, forderte die Jugendtrainer zu einer taktischen Anpassung. Als „pivote“, eine Position als spielmachender Sechser, sollte er fortan das Kommando übernehmen.

Verbal tat er es ohnehin. Die mangelnde Athletik machte er mit Führungsstärke, Kommunikation und Handlungsschnelligkeit weg. Im B- oder C-Team Barcelonas sollte er dennoch nicht spielen. Er war körperlich nicht ausgereift genug, um gegen die teilweise extrem ruppig agierenden Gegner anzutreten und blieb bis zu seinem 18. Lebensjahr im “Juvenil A”-Team. Direkt von dort aus sollte Cruijff ihn rekrutieren. Bereits mit siebzehn Jahren kam er in einem Freundschaftsspiel zum Einsatz, zwei Jahre später folgte das Pflichtspieldebüt für den schlaksigen Katalanen. Sein Jurastudium schmiss er hin, das Schicksal bot ihm eine größere Möglichkeit.

Der Spieler Josep Guardiola

Im Jahr 1990 verließ Luis Milla, der bisherige Pivote, den Verein. Zu hohe Ablöseforderungen hatten Cruijff dazu gebracht, sich bei Carles Rexach nach einem internen Ersatz zu erkundigen. Josep Guardiola spielte fortan im B-Team und erhielt einige Einsätze im Dreamteam des niederländischen Startrainers. Als Guillermo Amor gesperrt war, rückte Pep Guardiola als Pivote in die Mannschaft, also exakt auf jene Position, die Cruijff als Vorgabe an die Jugendtrainer erst geschaffen hatte. Im Interview sagte Guardiola vor seinem Debüt noch, er könne als „Nummer Vier oder Nummer Sechs“ spielen, als tiefer Spielmacher vor einer Dreierkette oder gar als Halbspieler vor einer Viererkette.

das Dreamteam mit Pep Guardiola als Spieler im Jahre 1992

In dieser Rolle als der spielgestalterische der Halbspieler sollte er im Finale der Champions League 1992 stehen. Im Wembley-Stadion bezwangen die Katalanen Sampdoria Genua nach einem Treffer Koemans, der im 3-4-3 als nomineller Sechser agierte. Es sollte eine Ansage des Angriffsfußballs sein, der Start in ein neues Zeitalter mit Spielern, deren Fähigkeiten im Kopf und in ihrer Technik liegen, nicht in ihrer Athletik. Spielern wie Pep Guardiola.

Dieser Aufwind sollte allerdings nicht lange währen. Im Laufe des Jahrzehnts gab es einige weitere Mannschaften, welche mit den Blaugrana dem Ideal des totalen Fußballs nacheiferten, allen voran der AC Mailand in der Post-Sacchi-Ära sowie Ajax‘ Jungspunde in den Händen des Kindergärtners Louis van Gaal. Für Cruijff sollte der CL-Pokal sein letzter sein, im Finale 1994 verloren sie gegen den übermächtigen AC Mailand. Nach vier Titeln in der Liga in Folge begann das schleichende Ende. Zwischen 1994 und 1996 feierte das Dreamteam keine Erfolge mehr, Vizepräsident Joan Gaspart entband Cruijff seines Amtes.

Für Guardiola ein Schlag ins Gesicht. “Der beste Trainer, den er je hatte” wurde von einem anderen Trainerstar ersetzt, Sir Bobby Robson. Sie gewannen alle Titel abgesehen von der Liga und Luis Enrique sollte fast fünfzehn Jahre später das Starensemble um sich selbst, Guardiola und Ronaldo als “beste Barcelona-Mannschaft aller Zeiten” bezeichnen. Über 100 Tore hatten sie erzielt, lediglich die bisweilen anfällige Defensive war die Ursache für die zwei Punkte Rückstand auf Meister Real Madrid.

Dennoch näherte sich das Ende Guardiolas beim FC Barcelona. Der Kapitän und Leitwolf fühlte sich nicht genug von der Vereinsführung wertgeschätzt, welche den Spielern aus der eigenen Jugend weniger zahlte. Sie spekulierten darauf, dass sie den Verein nicht verlassen und im Gegensatz von den teuer eingekauften Neuzugängen spielerisch profitieren würden. Das Bosman-Urteil sowie die Aufhebung der Ausländerbeschränkung verschob jedoch die Kräfteverhältnisse. Nachdem Guardiola im Jahre 1998 einen Dreijahresvertrag unterschrieb, gab er vorerst Ruhe.

Doch die Jahrtausendwende hatte eine Abkehr vom spielgestaltenden Sechser gebracht. Spieler wie Fernando Redondo und Josep Guardiola wurden langsam zur Ausnahme, die Zeit der Makelélé und Dungas sollte beginnen. Eine Zeit von Spielern, die technisch nicht zwingend schwach waren, sich aber auf die simplen Sachen konzentrierten – simpler noch als Guardiola, der diese Einfachheit an sich selbst am meisten wertschätzte (getreu Cruijffs Aussage, dass der einfache Fußball am schwersten zu spielen sei). Hier fand sich jedoch eine neue Bedeutung des Wortes Einfachheit und so begannen Guardiolas Abwanderungsgedanken.

Eine schwere  Verletzung der dorsalen Oberschenkelmuskulatur setzte ihn beinahe ein Jahr außer Gefecht. In dieser Zeit zog er sich noch mehr zurück. Der introvertierte Guardiola konnte sich nicht mehr am Fußballplatz verwirklichen und mit seiner Heilung gab es zahlreiche Probleme. Zuerst fehlte eine richtige Diagnose, danach fanden die Ärzte keine einheitliche Meinung über eine effektive Therapie. Seine Rückkehr verlief enttäuschend und nach 17 Jahren beim FC Barcelona nahm er Abschied. 479 Spiele auf höchstem Niveau und der Reiz einer neuen Herausforderung gingen Hand in Hand mit der Aussortierung durch Gaspart und van Gaal. Er wurde der erste Spieler aus der eigenen Jugendakademie, welcher einmal einen Stammplatz hatte und dann den Verein ins Ausland verließ.

Bald darauf unterschrieb er bei Brescia, wo er mit Roberto Baggio in den Niederungen der Serie A spielte. Innerhalb von zwei Wochen wurde er zweimal positiv auf Nandrolon gestestet, was eine mehrmonatige Sperre und 50.000 Euro an Bußgeld zur Folge hatte. Nach dem Blutdoping-Skandal der großen Juve-Mannschaft der 90er hatte der Weltfußball abermals ein Problem. Auch Edgar Davids, Jaap Stam, Fernando Couto und Ronald de Boer fielen durch die Dopingprobe – allesamt Nandrolon.

Josep Guardiola beteuerte seine Unschuld vor dem italienischen Verband. Sein Mittel hatte er nach eigener Auskunft vom FC Barcelona erhalten und es war absolut legal, eine Mischung aus Vitaminen und Nahrungsergänzungspräparaten. Er saß seine Sperre ab und führte seine Karriere normal weiter, doch dieses Urteil wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Hier stand nämlich etwas auf dem Spiel, was ihn sowohl als Spieler als auch später als Trainer auszeichnen sollte: seine knallharte Ehrlichkeit und Integrität. Nach langem Kampf hatte er letztlich Erfolg, 2007 wurde er freigesprochen. Eine Beschwerde des Italienischen Olympischen Nationalen Komitees (CONI) führte jedoch zu einer neuerlichen Öffnung des Falles, 2009 wurde Guardiola abermals freigesprochen. Sogar seine Frau hatte die Hoffnung aufgeben und riet ihrem Mann, den Kampf aufzugeben, seine Wesensart stand hier im Weg.

Nach einem Abstecher beim AS Rom wechselte er schließlich zu Al Ahly in das Königreich Katar. Trotz zahlreicher Angebote, unter anderem von beiden Teams aus Manchester und vom FC Chelsea (hier wäre José Mourinho sein Trainer gewesen), wechselte er schließlich nach Mexiko.

Mentoren

Bei Dorados de Sinaloa unterschrieb er einen Vertrag, welcher letztlich ein halbes Jahr lief. Nebenbei besuchte er die Trainerschule in Axopocán, womit er das Angenehme mit dem Nützlichen verband. Das Angenehme war hierbei die Arbeit mit seinem Freund und Trainerkollegen Juan Manuel Lillo. Dieser gilt bis heute als einer der Visionäre im modernen Fußball. Mit zwanzig Jahren trainierte er einen Verein in der dritten spanischen Liga, mit 26 Jahren etablierte er bei Cultural y Deportiva Leonesa die hochmoderne 4-2-3-1-Formation als allererster im Weltfußball. Im folgenden Jahr wurde er Trainer UD Salamancas, 1995 stieg er schließlich mit ihnen auf.

Hier geschah dann das schicksalhafte Aufeinandertreffen mit Guardiola. In der Saison 1996/97 spielte Lillos Real Oviedo gegen Guardiolas Barcelona – der eine als Trainer, der andere auf dem Platz. Letzterer suchte dennoch nach dem Spiel das Gespräch. Bereits gegen Salamanca und nun ein weiteres Mal war es dem jungen Josep aufgefallen, wie viel mehr Pässe und Ballbesitz die Gegner ihr Eigen nennen durften. Er suchte das Gespräch und eine Freundschaft entwickelte sich.

Guardiola beendete seine Karriere, auch aufgrund vieler kleiner Verletzungen in seiner Mexiko-Zeit. Er reiste durch Südamerika, traf Marcelo Bielsa und den großen Cesar Luis Menotti. Sie teilten eine ähnliche Spielauffassung. Zusätzlich soll sich Guardiola ein paar Tricks von “El Fluppe” La Volpe abgeschaut haben, dem extrovertierten Ex-Coach der mexikanischen Nationalmannschaft. Ausgestattet mit zahlreichen Ideen und Theorien über den Fußball meldete sich Guardiola beim FC Barcelona zurück.

Trainer des FC Barcelona

Bereits 2003 wäre Pep Guardiola beinahe Trainer des FC Barcelona geworden. Luis Bassat, damaliger Präsidentschaftsanwärter, wollte ihn für den Posten. Nach einem langen Gespräch war er zwar noch beeindruckter, besetzte dann aber doch die hypothetische Stelle mit jemand anderem: Juan Manuel Lillo. Guardiola, ohne Trainerschein und Erfahrung, sollte die Position des Sportdirektors besetzen. Den einzigen Strich durch die Rechnung machte Joan Laporta, der knapp vor Luis Bassat gewann.

Im Jahre 2007 entschied sich jedoch auch Joan Laporta dafür, der ehemaligen Vereinslegende einen Posten anzubieten. Sportdirektor Txiki Beguiristiain, Ehrenpräsident Johan Cruijff und Evarist Murtra, ein einflussreiches Vorstandsmitglied, empfahlen ihn für die Aufgabe als Trainer der zweiten Mannschaft. Guardiola nahm nach kurzer Rücksprache mit der Familie und seinem Freund Lillo an.

mit diesem System spielte Guardiola in der B-Mannschaft – ob es im Folgejahr wirklich größere Unterschiede gab?

Umgehend veränderte er zahlreiche Positionen in der Startaufstellung und im gesamten Kader. Die Unkenrufe, dass er seine offensiven Vorstellungen von Fußball nicht mit diesen Spielern in einer körperlich harten Liga umsetzen könnte, sah er nur als weiteren Ansporn. Schon beim ersten Training hörten ihn die Spieler schreien, dass fortan nur noch gepasst und nicht gedribbelt werden solle. Damit hatten die Blaugrana Erfolg. In Guardiolas erster Saison gewannen sie die Liga und stiegen auf. Mit einem Lauf von 21 ungeschlagenen Spielen erarbeitete sich Guardiola viel Respekt im Verein.

Die taktischen und trainingstechnischen Maßnahmen Guardiolas bewirkten scheinbar Wunder, die meisten seiner Spieler kamen später in der ersten oder zweiten Liga unter. So trainierte er zu der Zeit unter anderem Sergio Busquets und Pedro. Mit einem 4-3-3 spielte er ungemein modern: Der linke Flügelverteidiger agierte sehr hoch, auf rechts übernahm der Außenstürmer mehr Aufgaben bezüglich Breite im letzten Spielfelddrittel. Im Mittelfeld ist die Einteilung in einen Sechser, einen Achter und einen Zehner erkennbar, Busquets ließ sich sogar oft nach hinten fallen und es wurde eine Dreierkette mit aufgerückten Außenverteidigern gebildet.

Als Frank Rijkaard in Ungnade fiel, wurde der Perfektionist Guardiola Trainer der ersten Mannschaft. Gemeinsam mit seinem Co-Trainer Tito Vilanova strebte er nach der optimalen Kaderzusammenstellung für sein komplexes System. Dazu bedurfte es hoher Disziplin, Laufstärke, Dynamik und natürlich einer hervorragenden Technik. Viele Spieler, darunter Legenden wie Ronaldinho, Deco und sogar Samuel Eto’o wurden ausgemustert. Lediglich Eto’o konnte sich mit hervorragendem Einsatz im Training die Gunst Guardiolas zurückerobern.

In seinen ersten Trainingseinheiten offenbarte er seinem neuen Kader mit Verstärkungen wie Alves, Pique, Keita und Hleb, dass sie sämtliche Titel gewinnen würden, wenn sie ihm folgen würden. Sein Enthusiasmus sollte sie überzeugen, und nach zwei sieglosen Spiele ging der Knoten auf. Die folgenden neun Spielen der Primera Division gewannen sie und trafen ganze 38mal. In der Zwischenzeit erlegte sich Pep ein Interviewverbot auf, lediglich bei Pressekonferenzen gab er über sich und seine Mannschaft Informationen preis.

Am Ende der Spielzeit gewannen sie sämtliche sechs Titel, dazu gesellte sich ein Clásico im Bernabeu, wo sie das Spiel mit 6:2 in herausragender Manier für sich entscheiden konnten. Auf der Suche nach Perfektion ruhte sich Guardiola aber nicht auf den Erfolgen aus. Thierry Henry wurde von Pedro verdrängt und einige Neuverpflichtungen geholt. Hauptantrieb war das Fast-Ausscheiden gegen den physisch starken Chelsea FC im Halbfinale. Deshalb kamen mit Keirrison und Ibrahimovic zwei körperlich starke Angreifer, Maxwell war als offensivere Variante zu Eric Abidal vorgesehen und mit Dmitro Chygrynskiy wurde ein weiterer passstarker Verteidiger geholt. Kein einziger dieser Spieler ist heute noch beim FC Barcelona und es dürfte die schwächste Transferperiode der Ära Guardiola gewesen sein.

Insbesondere finanziell glich sie einem Desaster. Ibrahimovic kostete über 40 Millionen € und Inter erhielt zusätzlich Weltklassestürmer Samuel Eto’o, der eine tolle Saison spielte und die Champions League mit den Italienern unter José Mourinho holte. Lediglich Maxwell erwies sich als Schnäppchen, seine fünf Millionen € an Transfersumme spielte er bald wieder ein. Flop Chygrynskiy kostete hingegen das Fünffache.

Im Halbfinale schieden die Katalanen gegen Inter aus, Ibrahimovics Zwist mit Guardiola war in der Zwischenzeit sehr groß geworden. Nach seiner Zeit beim FC Barcelona äußerte sich der lange Schwede sehr negativ und sagte, Guardiola hätte ihn gemobbt und von den anderen isoliert. Xavi habe sich angeblich gegen ihn eingesetzt, und überhaupt seien er, Iniesta und Messi nichts weiter als brave Schuljungen.

2010/11 korrigierte Guardiola seine Transfer-Fehler. Mit David Villa kam ein Ersatz für den nun ausgemusterten Ibrahimovic. Die Belohnung: Das Double aus Liga und Champions League. Javier Mascherano war hierbei ein essentieller Baustein, auch für die darauffolgende und am wenigsten erfolgreiche Saison. In dieser hatten sie mit vielen Verletzungen zu kämpfen, besonders mit jener von David Villa. Die Neuen Alexis Sanchez und Cesc Fabregas spielten unkonstant und einige Veränderungen an der Formation und im Mannschaftsgefüge sollten das Aus für Guardiola etwas zu unrühmlich kennzeichnen.

Inventor, Innovator, Insigne

Guardiola hatte abermals versucht, sich und seine Mannschaft neu zu erfinden. Er setzte unter anderem ein 3-4-3, ein 3-3-4, ein System mit einem und ohne Stürmer sowie dem üblichen 4-3-3 ein sowie ein im Herbst sehr gelobtes und im Frühjahr sehr kritisiertes „3,5-3,5-3“ beziehungsweise ein adaptives 3-1-3-3-System. Sergio Busquets spielte hierbei eine Hybridposition aus defensivem Mittelfeldspieler und Innenverteidiger, am ehesten vergleichbar mit einer modernen und ballstarken Variante früherer Vorstopper.

Generell schien Guardiola ein Faible für Hybridpositionen zu besitzen. Beim 3-4-3/3-3-4 spielten die Innenverteidiger in den Halbpositionen wie eine Mischung aus Außen- und Innenverteidigern. Die Spieler in den Halbpositionen beim 3-4-3 hatten sowohl die Aufgaben zentraler Spielgestalter als auch klassischer Flügelspieler. Die Stürmer beim 3-3-4 sorgten für die Breite und halfen hinten teilweise wie Wing-Backs aus, was besonders Dani Alves im Laufe dieser Saison immer öfter in die vorderste Angriffsreihe verfrachtete.

Am interessantesten dürfte die Einführung der falschen Neun sein, welche Lionel Messi perfektionierte. Diesem hatte Guardiola bei Amtsantritt versprochen, dass er unter ihm irgendwann in jedem Spiel „mehr als nur ein Tor“ erzielen würde – sicherlich etwas übertrieben, aber die unglaublichen Torquoten Messis geben Guardiola im Nachhinein Recht. Im Spiel gegen Real Madrid in der Saison 2010/11 war er zum ersten Mal als falscher Neuner ins Auge getreten. Er traf zwar nicht ins Netz, konnte aber zwei hervorragende Assists aus dem Mittelfeld geben. Als falsche Neun verband er hierbei Aspekte eines klassischen Mittelstürmers und einer Nummer Zehn, beides aber mit mehr Freiheiten. Er sorgte im Mittelfeld für Überzahl, konnte seine tödlichen Pässe spielen und entledigte sich seiner Gegenspieler. Dadurch nahm er an Fahrt auf, setzte öfter zu seinen Soli an und schraubte seine Torgefahr in ungeahnte Höhen. Mit dem ungemein offensiven Rechtsaußenverteidiger Alves hatte er zuvor auf dem rechten Flügel zwar einen kongenialen Partner gefunden, durch seine neue Freirolle konnte er diese Verbindung aber beibehalten, ohne andere zu kappen.

Daraus resultierte eine weitere Hybridposition der Katalanen, jene der Flügelstürmer im 4-3-3. Durch Messis tiefere Position rückten sie zumeist ein, spielten nicht mehr so breit und besetzten den Raum zwischen Innen- und Außenverteidiger des Gegners. Diese wurden vom Aufrücken abgehalten, die Stürmer standen näher zum Spielgeschehen und hatten mehr Räume für das Empfangen vertikaler Pässe. Kein Wunder also, dass Samuel Eto’o Guardiola sogar als besseren Taktiker als Mourinho bezeichnete. Die wahre Stärke lag nämlich nicht in den klassischen Bereichen der Taktik, trotz aller Errungenschaften Guardiolas.

Die Stichwörter hier lauten “Makrotaktik” und “Mikrosystem”. Letzteren Ausdruck gebrauchte Pep selbst, als er die Faszination des Fußballs beschreiben wollte. Diese zwei Begriffe prägen seine Arbeit als Trainer. Er sah sich selbst als „den untersten“ in der Hierarchie, nicht den oberen. Er hänge von den Spielern und ihren Leistungen mehr ab als sie von ihm und deswegen müsse er sich penibel um jeden einzelnen von ihnen kümmern. Dazu fügte Guardiola an, dass es die größte Lüge in Mannschaftssportarten sei, wenn die Trainer behaupten, “alle wären gleich”. Im Gegenteil, seiner Meinung nach sei niemand gleich und jeder anders. Jeder einzelne Spieler benötige einen anderen Trainer, eine andere Person, die anders mit ihm redet. Somit schnitt er sein Verhalten auf jeden einzelnen Spieler zu – ein weiteres Merkmal des Perfektionisten.

Mit dem ersten Begriff, „Makrotaktik“ kommen wir zum Geheimnis des FC Barcelona: Jenen Dingen, die Analysten bereits mit Passmustern, geometrischen Formen und Statistiken untermauern und ergründen wollten. Guardiola hauchte seinem Team die Interaktion und Kommunikation miteinander ein. Jene Attribute also, die ihn als Spieler auszeichneten. Sie halfen einander und verschoben auf dem Feld deutlich disziplinierter und kompakter. Er führte Regeln für Ballgewinne und das Pressing ein, drillte seine Starspieler dazu und jeder verrichtet Defensivarbeit. Wohl der Hauptgrund, wieso Ronaldinho und Co. gehen mussten.

Die übriggebliebenen Spieler zeigten unaufhörliche Horizontal- und Diagonalläufe, sie rochierten und pressten im Kollektiv. Der totale Fußball war wiedergeboren, dieses Mal lag der Fokus allerdings auf dem Ball und dem Raum anstatt der Geschwindigkeit und dem Raum. Ballbesitz diente dem Selbstzweck der aktiven Verteidigung und der Erhöhung qualitativer statt quantitativer Chancen. Guardiola, der seine Mannschaft als „furchtbar ohne Ball“ bezeichnete, legte wohl deswegen einen dermaßen großen Fokus auf diese Attribute. Um einen Paradigmenwechsel zurück zu den passenden und spielstarken Mittelfeldspielern hervorzurufen, mussten ihre Schwächen kaschiert werden. Ihre Stärken wurden mit seinem Training weiter verstärkt.

Wie in La Masia forcierte er das Spiel auf Sichtfeld. Im Idealfall spielten die Spieler nur Pässe dorthin, wo sie den Raum kannten. Falls sie sich vor der Ballannahme nicht umgeschaut hatten, durften sie somit nur Pässe in den ihnen gerade zugänglichen optischen Bereich spielen. Nach diesem Muster attackierten sie auch die Gegner. Das Kollektiv presste und falls der Gegner dieses Forechecking überwand, zogen sie sich zurück. Die nächste Pressingwelle folgte, wenn einer der Gegner den Ball unsauber stoppte und dadurch das Sichtfeld aufgab. Er musste zum Ball blicken und verlor damit die Übersicht über das Feld. Beim FC Barcelona wurde deswegen in der Jugend verstärkt gelehrt, den Ball richtig anzunehmen: Die Spieler müssen den Ball mit dem vom Gegner entfernteren Fuß annehmen, dabei vor der Ballannahme und während der Ballmitnahme das Feld im Auge behalten.

Hierbei zeigte Guardiola, was ihm wichtig war: Messi verbesserte sein Dribbling, indem er Maradonas Gambetta kopierte. Das bedeutet, dass er sein Spiel noch mehr auf die Bewegungen des Gegners ausrichtete und entgegen ihrer Laufrichtung dribbelte oder eine Körpertäuschungen zu einer schwächeren Balance nutzte. Mental gab es weitere Aspekte, die Guardiola im Verein veränderte: Die talentiertesten Jugendspieler wurden der Tradition üblich früh hochgezogen, allerdings nach einiger Trainings- und geringer Spielzeit beim ersten Team wieder zurückgeschickt. Guardiola wollte damit bezwecken, dass sie zurück zu ihren ehemaligen Kameraden kamen und dort nun eine Führungsrolle beanspruchten. Sie sollten aus den Schatten ihres Talentstatus entwachsen und zu Führungsspielern heranreifen. (Dies ist einer der Gründe, wieso Thiago teilweise azyklisch zwischen erstem und B-Team pendelte.)

Dieses gesamtorientierte Denken zeigte ebenfalls, was Guardiolas eindrucksvollste Stärke ist: das Einschwören auf die gemeinsame Sache.

Motivation, ein Schlüsselwort zum Abschied

Bereits in seiner Zeit beim B-Team schwärmten die Spieler von ihm, nicht nur von seinen Fähigkeiten als Trainer, sondern vielmehr von seinen menschlichen Qualitäten. Wie kaum ein anderer versteht er es, den Spielern den Geist Barcelonas einzuhauchen. In jedem Training, jeder Minute auf dem Trainingsplatz, will er seinen Spielern klar machen, was es bedeutet, für Barcelona spielen zu dürfen. Kein anderer bleibt dabei so authentisch und bringt so viel Enthusiasmus mit. Seine romantische Betrachtungsweise des Fußballs, „der schönsten Sache auf der Welt“, verband er mit einem wissenschaftlichen Ansatz über Raum, Ballbesitz und Pressing mit intelligenten Sekundenregeln.

Besonders wichtig war allerdings, dass er seinem Starensemble neben Disziplin auch Konstanz beibrachte. Jedes Spiel war wichtig, über keinen Gegner verlor er ein schlechtes Wort und stilisierte sie teilweise sogar zu überlegenen Gegnern.

In dieser Beziehung ähnelt er stark Jürgen Klopp, der vor jedem Spiel seine Mannschaft auf die Stärken des Gegners einschwört und sie motiviert. Bei Guardiola sind es Motivationsvideos, die er vor den ganz großen Duellen gerne nutzt. Angeblich soll das Video „inch by inch“ bereits vorgekommen sein, andere Videos sind sogar bestätigt. Vor dem Saisonfinale mit der B-Mannschaft zeigte er ihnen das Video des Triathletenduos „Team Hoyt“, welches die Spieler zu Tränen rührte. Im Verbund mit dem katalanischen Fernsehen wurde vor dem CL-Finale 2009 eine Mischung aus den besten Szenen der Saison und einem bekannten Hollywoodblockbuster gemixt. Doch auch ohne erstellte Videos gehört er zu den besten Motivatoren seines Faches. Exklusive Szenen wie vor der Verlängerung im europäischen Supercup belegen dies ebenso wie zahlreiche Aussagen von Spielern, welche er „wortlos beeindrucken und anspornen konnte“ (Xavi).

Allerdings könnten es dieser Enthusiasmus und die typische Besessenheit sein, welche ihn letztlich auffraß. Er begann im Schlaf über Fußball zu sprechen, sein Haarausfall verschlimmerte sich und die Angst vor Langzeitkontrakten wuchs stetig. Er ist ein Trainer, der als Spieler das Wort „Berühmtheit“ mit der Beschreibung „beschissen“ gleichsetzte. Jemand, dessen mediale Aussagen maximal aus Huldigungen an die Konkurrenz, Glückwünschen und generellen Auskünften bestanden.

In den letzten zwei Jahren schienen zudem die Duelle mit José Mourinho etwas an den Nerven geknabbert zu haben. Seine Bescheidenheit, seine Fairness und sein Sportsgeist blieben bestehen, aber ein etwas sehr trockener Humor kam ans Licht. Auf Fragen nach Wechselgerüchten zu Chelsea wurde er zunehmend sarkastisch und bezüglich Real ebenfalls bissiger. Einst ließ er sich sogar, aus reinen Psychospielchen, zu Formulierungen gegenüber Mourinho hinreißen, welche der neutrale Beobachter eigentlich nur dem Portugiesen zugetraut hätte. An sich kein Problem, doch die Veränderung Peps war schleichend, unmerklich und doch vorhanden.

Die Selbstzweifel und der Druck, den er sich aufgrund des von ihm gewünschten Erfolges Barcelonas selbst auferlegte, forderten ihren Preis. Die langen Stunden vor jeder einzelnen Partie, wo er sich in einen Keller mit gedämmtem Licht einschloss und den Gegner studierte, brachten weniger Erfolg. Einst sagte er, diese Momente waren am schönsten gewesen. Wenn er sich das Spiel vorstellte und die Schwächen und Stärken des Gegners auseinander nahm, bis der „Aha“-Moment kam. Jener Moment, wo er wusste, sie würden siegen und wieso. Wie das Spiel aussehen würde und was er als Trainer tun musste.

Früher hatten seine Spieler diese Visionen öfter umgesetzt – diese Momente waren es, die ihm seinen Antrieb als Trainer gaben. In der vergangenen Saison wurden sie seltener. Der atheistische Pep Guardiola, der Maradona und Messi als Götter bezeichnete, verlor seinen Fußballglauben. Angebliche interne Zwiste zwischen Villa und Messi, Pique und Guardiola oder Alexis und Co. scheinen aus der Luft gegriffen, ein Fünkchen Wahrheit mag wohl trotzdem dran sein. Es war auffällig, wie oft die Presse bereits im Vorfeld des Spiels über die Aufstellung Bescheid wusste. Insbesondere beim Rückrundenklassiker gegen Real Madrid wartete Pep mit einer überraschenden Nominierung auf – die allerdings bereits jeder zu kennen schien.

Ein Mann, der bei der höchsten Vergabe “seines Landes, dem Land Katalonien “, vor dem gesammelten Parlament über Fußball sprach; ein Mann, welcher zahlreihe Zitate von katalanischen Philosophen wie Jaume Perich zitieren und die schnulzigen Lieder von Lluis Llach singen kann; ein Mann, der in seinem Leben alles ausprobieren wollte, von einem Gang auf dem Catwalk bis zu einer Fußballmannschaft ohne Stürmer oder Verteidiger, verlor ansatzweise die Verbindung zu seiner Mannschaft – und konnte damit nicht mehr weiterarbeiten.

Es war wohl die Summe aller kleinen, vielleicht sogar unwichtigen, Problemchen, seiner physischen wie psychischen Belastung und den mannschaftsinternen Wehwehchen, welche ihn zur Resignation zwangen. Mit Tito Vilanova übernimmt einer, der die gleichen Ideen und Ideale verkörpert. Gemeinsam waren sie das Mastermind, für welches Guardiola Symbol stand. Nächste Saison muss sich dieser dem Druck beugen, der Pep Kopfzerbrechen einbrachte und ihn von seiner Haarpracht erlöste.

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