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Vollgasfußball – Die Fußballphilosophie des Jürgen Klopp

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MR hat ein Buch über Jürgen Klopp geschrieben. Die Entwicklung des „Vollgasfußballs“ wird auf 176 Seiten beleuchtet. Alle Informationen über den Inhalt, den Preis und den Verkauf.


VollgasfußballSpielverlagerung-Autor Martin Rafelt (MR) schreibt seit rund fünf Jahren über Fußballtaktik und beschäftigt sich dabei primär mit dem Spiel Borussia Dortmunds. Seine Begeisterung für das Thema Taktik wurde wesentlich von der Arbeit Jürgen Klopps hervorgerufen und geprägt seit dieser 2008 das Traineramt in Dortmund antrat. Nun wurden die Gedanken und Erkenntnisse der letzten Jahre in Buchform gebracht, um das Phänomen Klopp aus sportlicher Sicht zu beleuchten.

Dabei versucht das Buch jedoch nicht, eine bestimmte, fest definierte Spielweise in trockener Theorie zu erklären. Vielmehr geht es darum, die Evolution einer Idee nachzuvollziehen. Denn Klopps Vollgasfußball, das wird auf den 176 Seiten deutlich, hat sich stets weiterentwickelt. Es geht nicht um ein ideales System, sondern darum, wie elf Spieler sich auf dem Fußballfeld so organisieren, dass sie „mit Vollgas“ Fußball spielen können.

So besteht das Buch zu großen Teilen aus Analysen und Erklärungen zu Klopps Mannschaften seit 2008. Es wird erklärt, wie Klopp seinen Pressingfußball nach und nach etablierte, wie der BVB damit zwei deutsche Meisterschaften erringen und sogar bis ins Finale der Champions League vorstoßen konnte. Es werden die Ideen, Umstände und Synergien dieses Weges erläutert, ebenso wie die Widrigkeiten und Fehler, die letztlich zu Klopps Abschied aus Dortmund führten – und zu seinem Engagement beim Liverpool FC.

Neben der chronologischen Aufarbeitung von Klopps Arbeit gibt es Spieleranalysen zu Schlüsseakteuren, die den Vollgasfußball in ihrer Spielweise verkörperten. Zudem ist das Buch mit allgemeinen taktischen Erläuterungen angereichert, welche in Form von Exkursen an entsprechenden Stellen eingestreut sind. Das alles wird mit vielen Diagrammen und Bildern abgerundet. Hier gibt es eine Leseprobe inklusive Inhaltsverzeichnis:

Das Buch gibt es bei uns im Shop sowie in allen gutsortierten Buchhandlungen zum Preis von 19,90€. Die zehn Kapitel erstrecken sich auf 176 Seiten im Format 23,6cm x 16,8cm. Eine Veröffentlichung als e-Book ist in Planung.

 

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„Vollgasfußball“ ist das dritte gedruckte Werk von Spielverlagerung. Unser Trainerhandbuch „Fußball durch Fußball“ von Marco Henseling und René Marić lässt sich ebenso in unserem Shop ordern wie Tobias Eschers „Vom Libero zur Doppelsechs“. Mit jedem gekauften Buch unterstützt ihr Spielverlagerung und unsere Autoren.


Wie Sampaoli und „La U“ einst Südamerika aufmischten

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Die knappe Niederlage gegen Real Madrid im Finale um den europäischen Supercup deutete etwas an, das sich bereits auf dem südamerikanischen Kontinent eindrucksvoll zeigte: Der „Professor“ kann auch und gerade bei Vereinsmannschaften glänzen.

Die chilenische Nationalmannschaft, welche spätestens nach dem Sieg über Spanien bei der WM 2014 sowie dem Gewinn der Copa América 2015 im eigenen Lande in aller Munde war, sollte Jorge Sampaoli weltweite Bekanntheit einbringen und ihn zu einem der gefragtesten Trainer überhaupt machen. Doch schon zuvor dominierte er mit Universidad de Chile nicht nur die nationale Meisterschaft, sondern gewann auch die Copa Sudamericana (lateinamerikanisches Pendant zur Europa League) und gelangte anschließend ins Halbfinale der Copa Libertadores. Spieler dieser Mannschaft finden sich bis heute im Kern der „goldenen“ Generation Chiles wieder.

Kader

In den nachfolgend beispielhaften beschriebenen Partien aus der Saison 2011/12 war einer von ihnen schon gar nicht mehr dabei: Eduardo Vargas hatte es bereits nach Europa verschlagen. Ein sehr junger, sogar etwas umtriebiger als heute agierender Charles Aranguiz befand sich hingegen noch als eine Stütze der Mannschaft in den Reihen von „La U“. Seine weiträumige, vorstoßende und gleichzeitig doch auch auf enge Situationen und Gegenpressing ausgelegte Art spiegelte das gesamte Team in entscheidenden Aspekten wieder. Für den umsichtigen, ruhigeren und mannschaftsverbindenden Part stand ergänzend kein geringerer als Marcelo Diaz, der dem ganzen einen strategischen Unterbau verschaffte.

Darüber hinaus gab es in Eugenio Mena einen linken Flügelläufer par exellence, der die gesamte linke Seite in unterschiedlichen Rollen bearbeiten konnte. Sein Gegenüber auf rechts, Matias Rodriguez, ging darin noch einen Schritt weiter und vereinte oftmals Elemente eines Flügelstürmers, Außenverteidigers und Achters in sich. Nicht selten besetzte er gar situativ das Sturmzentrum. Dabei konnte er bisweilen eine enorme Durchschlagskraft entwickeln und immer wieder Treffer per Kopfball oder Distanzschuss beitragen.

In Kapitän Jose Rojas fand sich ein als linker Innen- oder Halbverteidiger gerne im Halbraum vorstoßender Akteur zwischen den beiden. Neben ihm spielte mit Acevedo ein eher langsamer Mann vom Typus Libero oder alternativ der stabile und demgegenüber etwas offensivfreudigere Marcos Gonzalez. In einer Dreierkette konnte zudem Paulo Magalhäes als gelernter Rechtsverteidiger einen offensiv vorstoßenden und zur Seitenlinie ausweichenden Part übernehmen.

Mit Johnny Herrera gab es einen fußballerisch unsicheren, aber mitunter sehr reflexstarken Torhüter hinter der Abwehr. Davor konnte neben Diaz und Aranguiz vor allem der heute immer noch junge und immer noch bei Universidad de Chile spielende Sebastian Martinez auflaufen. Für sein Alter wirkte er überaus komplett und abgeklärt, gerade in der Ballzirkulation stark und auch als zentraler Mann in einer Dreierkette zu gebrauchen. Zusätzlich stand noch Guillermo Martinez, ein unterstützender, mannschaftsdienlicher Achter zur Verfügung.

Ebenfalls durchaus in der Achterrolle kam Gustavo Lorenzetti aus Argentinien zum Einsatz. Lieber agierte er allerdings als falsche Neun oder verkappt aus dem Zehnerraum heraus – dort alleine aufgrund der überaus ähnlichen Statur als etwas an Diaz erinnernder höherer Spielmacher mit gutem Gefühl für offene Räume und mögliche weitere Angriffsverläufe, die er sowohl mit Pässen als auch mit Dribblings einleiten konnte. Ebenfalls zurückfallend, aber grundsätzlich um den linken Flügel und Halbraum kreisend, konnte sich Emilio Hernandez in Szene setzen.

Zudem gab es mit dem später zwischenzeitlich in Leverkusen spielenden Junior Fernandes einen vor allem in 1 gegen 1-Situationen stärkeren, explosiven Spieler mit dem ein oder anderen guten Ansatz im Dribbling. Heute spielt er gemeinsam mit dem damals erst 18-jährigen Angelo Henriquez bei Dinamo Zagreb. Dieser war ein ablagenstarker, gerne auch mal etwas im Zwischenlinienraum oder zu den Seiten ausweichender Stürmer mit der Physiologie für eine eher etwas stationäre Rolle. Diese Station wechselte er dann eben von Zeit zu Zeit und schuf Raum für die dynamischeren oder dribbelstärkeren Nebenleute.

Ein ganz besonderer und spektakulärer Vertreter dessen fand sich in Raul Ruidiaz. Der passenderweise mit sehr kurzen Stutzen und klassisch schwarzen Schuhen auflaufende Peruaner liebte es, mit etwas Raum und Gegenspielern im Umkreis, seine Moves zu zeigen, indem er den Ball verschiedenartig mit der Sohle hin- und herzog und auf den richtigen Moment auf einen Tunnler oder Außenristpass wartete. Ein bisschen etwas vom Glanz der klassischen „Zehner“ schien durch Santiago.

RM wollte zu diesem Thema eigentlich schon mal was schreiben. Die Grafiken waren sogar schon teilweise fertig.

RM wollte zu diesem Thema eigentlich schon mal was schreiben. Die Grafiken waren sogar schon teilweise fertig.

Totale Liga-Dominanz

Grundformation in der ersten Halbzeit gegen Audax Italiano am 10.03.2012

Grundformation in der ersten Halbzeit gegen Audax Italiano am 10.03.2012

Die durchaus vorhandene Flexibilität der einzelnen Spielertypen sowie des Kaders in seiner Gesamtheit fand sich dementsprechend auch in den genutzten Formationen und Abläufen wieder. Hierbei setzte Sampaoli während der chilenischen Apertura vermehrt auf Anordnungen mit Dreierkette. Diese waren im Einzelfall nicht klar voneinander zu unterscheiden, sondern gingen vielmehr fließend ineinander über oder wurden während des Spiels gewechselt. Auch asymmetrische Mischungen aus Dreier- und Viererkette konnten alleine durch unterschiedliche Rollen von Mena, Rodriguez und den einzelnen Halbverteidigern entstehen.

Aus dem nominellen 3-4-3 wurde so beispielsweise in der ersten Halbzeit beim 6:0 gegen Audax Italiano alleine durch die zurückfallende Rolle von Lorenzetti häufiger ein 3-4-1-2, bei gleichzeitigem Vorstoßen von Aranguiz ein 3-3-2-2/3-1-4-2. Je nach Verhalten von Mena und Rodriguez gab es zusätzlich gar 3-2-5-hafte Phasen oder verschobene Anordnungen in der Raute zu sehen.

Zudem verhielten sich die Halbverteidiger unterschiedlich. Rojas ging häufig auf eine Höhe mit Diaz, der sich nach halbrechts absetzte. Aus der so entstehenden 2-2-Aufbaustaffelung ließ sich zentrumsfokussiert gegen abwartende Gegner aufbauen. Nach Balleroberungen konnte der Kapitän sogar von seiner Halbverteidiger-Position aus Mitspieler im Halbraum hinterlaufen und bis in den Strafraum nach vorne drängen.

Ein Beispiel dafür, wie „La U“ konsequent auf freie Räume reagierte: Gerade Lorenzetti konnte man oft dabei beobachten, wie er mit Schulterblicken nach ihnen Ausschau hielt, anschließend zusätzlich die Positionierungen der Mitspieler überprüfte und dann zur jeweiligen Aktion überging, bei der die ballnahe Unterstützung Vorrang hatte. Gleichzeitig war die Mannschaft darum bemüht, die Verbindungen in etwas ballfernere Zonen nicht abreißen zu lassen und durch entsprechende Besetzung der letzten Linie den Gegner nach hinten zu drängen. Hier brachten sie dann verschiedene Bewegungen zum Freiziehen von Anspieloptionen auf teils sehr engem Raum an, die ihre Stärken vor allem in der Abstimmung untereinander hatten.

Grundformation in der zweiten Halbzeit gegen Audax Italiano am 10.03.2012

Grundformation in der zweiten Halbzeit gegen Audax Italiano am 10.03.2012

Oft waren die Ausgangsstaffelungen eigentlich zu flach, doch sobald sich ein Spieler vorne löste und den Ball erhielt, kam die Maschinerie in Gang. Ballnah gab es sowohl Unterstützung für kurze Kombinationen als auch für Tiefenläufe, während ballfern gleichzeitig abgesichert wurde oder Angebote für (Verlagerungs-)Flanken erfolgten. Die hinteren Linien schoben dabei weit mit hoch, Universidad de Chile stand eng beisammen und konnte so auch bei direkt etwas weniger abgesicherten Ballverlusten verhältnismäßig schnell Zugriff erlangen oder sich zumindest kollektiv schnell zurückziehen. Auf das Herstellen passender Abstände musste dabei erst gar nicht geachtet werden, wodurch das Augenmerk auch bei eher gefährlichen Kontern schnell auf das Erlangen von Zugriff und das Abdrängen des Gegners gelenkt werden konnte.

Dieses Element war insgesamt auch im geordneten Pressing prägend, wo Flügelläufer und (Halb-)Stürmer außen aggressiv anliefen und den Gegner alleine an der Seitenlinie festmachen konnten. Das Nachschieben in den ballnahen Halbraum erfolgte dabei zunächst zögerlich, war jedoch an die Situation gekoppelt: Sobald dies etwa durch das Angebot eines Spielers nötig wurde, schob der etwas ballentfernte Teil der Mannschaft kontinuierlich mit herüber. In der Endphase des Verschiebens konnte dann zusätzlich der ballferne Flügelläufer, vor allem Rodriguez, mit in den Sechserraum hineinschieben und für Ballgewinne sorgen. Das Spiel mit offenen Räumen, die gar nicht offen sind.

Dabei griff das Team immer wieder auf Mannorientierungen zurück, die jedoch nicht durchgehend stabil und in diese Mechanismen eingebettet waren. Insbesondere die erste Verteidigungslinie ließ sich gerne tief fallen, auch zu fünft auf eine Linie. Ein offener Raum zwischen den Linien wurde dabei ebenso billigend in Kauf genommen wie das teilweise Fehlen eines eingespielten Kettenverhaltens. Dies blieb auch der Fall, als zur Halbzeit Magalhaes für Acevedo in die Partie kam und sich phasenweise eine klarere Viererkette zeigte.

Anpassungen auf internationalem Parkett

Grundformation in der ersten Halbzeit gegen Atletico Nacional am 20.04.2012

Grundformation in der ersten Halbzeit gegen Atletico Nacional am 20.04.2012

Eine solche wurde zumindest in Spielen der Copa Libertadores häufiger einmal innerhalb der Ausgangsformation genutzt, etwa gegen den kolumbianischen Spitzenverein Atletico Nacional. Die Außenverteidiger agierten zumindest mit Ball grundsätzlich wie Wingbacks und auch gegen den Ball nahmen sie eher Positionen neben dem Sechser im 4-1-4-1 als auf Höhe der Innenverteidiger ein. Stattdessen rückte beispielsweise bei Abstößen eher der defensive Mittelfeldspieler zwischen sie, was Staffelungen im 3-2(breit)-2(eng)-2(halb)-1 zur Folge hatte.

Unabhängig von der genauen Anordnung, die sich wiederum überaus flexibel zeigte, stellten Stürmer Henriquez oft gemeinsam mit den Flügelspielern den Weg ins Zentrum zu. Der dann folgende Pass auf den Außenverteidiger wurde aggressiv von seinem „La U“-Pendant angelaufen. Der Rest der Mannschaft staffelte sich vom Zentrum aus diagonal. Vereinzelt wurde dies in passenden Momenten mit bewussten Lücken im Sechserraum kombiniert, die als Pressingfallen dienten und den Gegner vor Entscheidungsschwierigkeiten stellten.Dessen Spieler konnten phasenweise kaum mehr unterscheiden, wo es eine Drucksituation gab, in die man nicht hineinspielen sollte und welcher Raum tatsächlich geöffnet war.

Überall schienen die Mannen von Sampaoli Zugriff erzeugen zu können. Dies gelang auch, indem Angriffe durch unterschiedliche Höhen der Flügelspieler und entsprechendes Verhalten des Stürmers lose auf eine Seite geleitet wurden. Schwierigkeiten ergaben sich erst, wenn doch mal ein Pass seinen Weg durch die Ausgangsstaffelung fand und die vertikalen Abstände nicht passten. Da der jeweilige Sechser eher die beiden Innenverteidiger unterstützte, blieb Raum im Zentrum frei. Auch aus der häufiger in 2 gegen 2-Situationen stattfindenden Restverteidigung konnte es zu derlei Problemen kommen. Die Pressingbeteiligung der vorderen Spieler in tiefen Zonen zeigte sich dabei wechselhaft und oft zu sehr auf Zocken ausgerichtet.

Grundformation Atletico 2HZ

Grundformation in der zweiten Halbzeit gegen Atletico Nacional am 20.04.2012

Mit Ball fielen sie demgegenüber vor allem bei klaren und teils extremen Überladungen auf, die entweder von Aranguiz oder Fernandes ballnah einrückend unterstützt und von Hernandez durch das ständige Ausweichen von seiner Position initiiert werden konnten. Dabei war ein Fokus auf die rechte Seite zu erkennen: Über Diaz oder Martinez konnte der Ball per Wechselpass nach halblinks auf den vorstoßenden Rojas weitergeleitet und insbesondere der ballferne Halbraum anvisiert werden. Gleichzeitig lag wiederum ein hoher Fokus auf der vielseitigen Besetzung der letzten Linie. Henriquez ließ sich vermehrt zwischen die Linien fallen, Aranguiz stieß in die Spitze vor, während die Spieler weiter außen ihre jeweilige Höhe daraufhin anpassten.

Strafraumbesetzung durch den linken Achter und den rechten Außenverteidiger waren dadurch keine Seltenheit. So gab es Situationen, in denen Hernandez sich im Achterraum bewegte und Mena links hoch blieb, während Rodriguez rechts ins bereits von Aranguiz mitbesetzte Sturmzentrum ging und Fernandes sich am Flügel etwas tiefer bewegte. Aus dieser Halbfeld-Position konnte man beispielsweise seitlich in den Strafraum vordringen, wenn der vertikale Weg in den Strafraum nicht gelang.

Im weiteren Verlauf zeigte sich einmal mehr die Flexibilität in der Ausrichtung, als Martinez sich zunächst konsequenter zwischen den Innenverteidigern aufhielt und die beiden Außenverteidiger vermehrt auf Achterpositionen gingen, während Aranguiz die Position des Zehners einnahm. Breite wurde aus diesem 3-Raute-3 nun vor allem abhängig vom Verhalten der gegnerischen Flügelspieler, die gemeinsam mit deren Teamkollegen vor Orientierungsschwierigkeiten gestellt werden sollten, erzeugt: Ging der Außenverteidiger doch wieder raus? Was macht der vorherige Breitengeber? Wie verhält sich Aranguiz?

Gegen den Ball ergab sich eine Fünferkette mit Diaz und Aranguiz als Sechsern davor – wechselnd zwischen 5-2-3, 5-2-1-2 und 5-4-1 angeordnet. Die zuvor bisweilen angedeutete Abseitsfalle kam dabei aufgrund des zusätzlichen Spielers kaum zum Greifen und man ging eher zum tieferen Verteidigen über, bei dem der Gegner durch enge Positionierungen im Zentrum in die jeweiligen Zugriffsbereiche der Fünferkette geleitet werden sollte. Dies sollte schließlich für einen 2:1-Heimsieg reichen.

Aus RMs Archiv: Das tiefe Pressing und welche räume die einzelnen Spieler abdecken (aus dem Spiel gegen die Boca Juniors am 22.06.2012.

Aus RMs Archiv: Das tiefe Pressing und welche räume die einzelnen Spieler abdecken (aus dem Spiel gegen die Boca Juniors am 22.06.2012.

Pragmatischer Wahnsinn als Vorbote für Peps Bayern

Doch nicht jedes Spiel gegen andere Gegner vom Kontinent sollte vergleichsweise reibungslos ablaufen. Gerade die riskante Absicherung konnte auch mal zu hohen Niederlagen beitragen. Das Achtelfinalhinspiel bei Deportivo Quito wurde mit 4:1 verloren. Das Aus schien kaum abwendbar. Da gewann „La U“ eben einfach mal 6:0 vor heimischem Publikum.
Was das Publikum dort zu sehen bekam, war nicht unähnlich zu dem, was Guardiola Jahre später mit seinem 2-3-5-haften System vor allem gegen Atletico Madrid spielen lassen sollte.

Durch eine enorme Präsenz um die letzte Linie herum wurde der Gegner aus Ecuador so weit zurückgedrängt, dass er sich kaum mehr befreien konnte. Das Gegenpressing ermöglichte etwaige Fehlpässe, ohne dass diese direkt in einem gefährlichen Gegenzug mündeten. Teilweise gelangte der Ball für mehrere Momente kaum weiter als 10 Meter vom gegnerischen Strafraum weg. Niemals wurden die flachen Staffelungen auf der letzten Linie tatsächlich statisch, auch wenn sich in Zahlen ausgedrückt schon fast ein 2-1-7 oder ein 1-2-2-5 herausbildete.

Alles zuvor Angedeutete wurde angesichts der Situation einfach in ein noch größeres Extrem überführt. Aus dem 2 gegen 2 in der Restverteidigung wurde häufig ein 1 gegen 1 (in Extremfällen fast ein 1 gegen 2), an einer Ecke des Strafraums ballten sich 4 statt 2 Spieler, Lorenzetti wirbelte noch konsequenter zwischen den Linien und balancierte vielfach ballfern. Quitos Sechserkette konnte auf verschiedene Weisen ausmanövriert werden.

Mögliche Ausgangsposition: Durch entsprechende Umformungen stehen beide Halbräume offen, 5 Spieler besetzen situativ die letzte Linie. Verteidiger und Mittelfeldspieler des Gegners wissen kaum, was in ihrem Aufgabengebiet liegt, wen sie „decken“ sollen.

Mögliche Ausgangsposition: Durch entsprechende Umformungen stehen beide Halbräume offen, 5 Spieler besetzen situativ die letzte Linie. Verteidiger und Mittelfeldspieler des Gegners wissen kaum, was in ihrem Aufgabengebiet liegt, wen sie „decken“ sollen.

Pass auf zentral zurückfallenden Spieler, sofern sich der Raum im Zentrum leicht öffnen lässt – dies war häufiger einmal tatsächlich der Fall. Die gestrichelten Pfeile stellen dann Anschlussbewegungen dar. Je nach Situation für ein Spiel durch die Schnittstellen oder für kleinräumige ballnahe Kombinationen.

Pass auf zentral zurückfallenden Spieler, sofern sich der Raum im Zentrum leicht öffnen lässt – dies war häufiger einmal tatsächlich der Fall. Die gestrichelten Pfeile stellen dann Anschlussbewegungen dar. Je nach Situation für ein Spiel durch die Schnittstellen oder für kleinräumige ballnahe Kombinationen.

Diaz treibt aus dem rechten Halbraum das Spiel an. Rodriguez rückt ein, Rojas auf: Verlagerung in den ballfernen Raum, wo durch eine der Schnittstellen steil gespielt werden kann oder wiederum ein Pass in den geöffneten Raum vor der Abwehr möglich ist.

Diaz treibt aus dem rechten Halbraum das Spiel an. Rodriguez rückt ein, Rojas auf: Verlagerung in den ballfernen Raum, wo durch eine der Schnittstellen steil gespielt werden kann oder wiederum ein Pass in den geöffneten Raum vor der Abwehr möglich ist.

Alternativ eröffnet sich die Möglichekit des direkten Vertikalspiels auf einen der Spieler mit zwei Pfeilen. Der andere bewegt sich beispielsweise als Rückpassoption und zur Absicherung entgegengesetzt. Die entsprechende Zielzone kann auch mit noch mehr Spielern besetzt werden

Alternativ eröffnet sich die Möglichekit des direkten Vertikalspiels auf einen der Spieler mit zwei Pfeilen. Der andere bewegt sich beispielsweise als Rückpassoption und zur Absicherung entgegengesetzt. Die entsprechende Zielzone kann auch mit noch mehr Spielern besetzt werden

Abschließende Worte

Hinter dieser Art des Fußballs muss sich eine unkonventionelle Denkweise verbergen. Es scheint die Fähigkeit hindurch, den Fußball durchaus in Mustern zu sehen, die aber mehr situative Abbilder einer Spielidee als klar festgelegte, abspulbare Schemata sind. Das macht eine Analyse oft ausschweifend, unvollständig, aber auch etwas kreativer als üblich. Am unvollständigen Ende steht dieser Text. Den ausschweifenden Part habe ich bereits mit einer Analyse der aktuellen Vorbereitung beim FC Sevilla übernommen, die sich hier findet.

Trainerporträt: Jupp Heynckes

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Jupp Heynckes ist wohl aus dem Ruhestand zurück. Unser Porträt der Trainerlegende.

(Dieser Artikel wurde original im Mai 2013 in der ersten Ausgabe unseres Ballnah-Magazins veröffentlicht und zu Weihnachten 2014 im Blog.)

Ein leichtes Zögern und dann ein skeptisches Herabsetzen des Glases, falls eine solche Skepsis denn möglich ist. Es sollte die Frage aller Fragen folgen: „Du hältst Jupp Heynckes wirklich für einen der besten Trainer?“

Tue ich das? Ich weiß es nicht. Schon oft hatte ich mit meinem Lieblingsgesprächspartner über Heynckes geredet. Er ist ein ehemaliger Bayernsympathisant, in einer anderen Altersklasse und mit fast schon konträrem Background. Einst hatte er im Fußball zu tun gehabt, allerdings schon etwas her – einer jener Fußballbesessenen, die sich lieber in die guten alten Zeiten zurückversetzen und nur die Spiele Barcelonas nicht verpassen.

Vor zwei Jahren kam Jupp Heynckes zum FC Bayern.  „Was wollen denn die mit dem? Die Mischung aus Jürgen Klinsmanns Inkompetenz und Van Gaals Sturheit. Typische Freunderlwirtschaft. Unter Beckenbauers Ägide wäre das nicht passiert.“

Die Tiraden gingen weiter. Die große Frankfurter Mannschaft habe Osram ruiniert! Schalke und Gladbach waren ebenfalls dem Untergang geweiht, als er mit seiner Möchtegernfuchtel irgendwelche abgelaufenen taktischen Konzepte installieren wollte. Heynckes sei keine Plattform für Starspieler, sondern ein Unterdrücker. Einer, der in den 80ern von Wissen profitiert habe, das heute zur Norm gehöre – und die Sprache der Spieler spreche er ohnehin nicht. Ob er das nicht mehr tue oder noch nie getan habe, traute ich nicht zu erfragen.

Ich persönlich dachte nämlich damals schon anders; immerhin hatte ich mich bereits nach seiner Interimszeit beim FC Bayern durch zahllose Medienberichte gelesen. Und ich vermutete, wieso mein Gesprächspartner diese Meinung vertrat.

Niemand kann Jupp Heynckes richtig einschätzen. Passend dazu war der Grundtenor der Medien, als Heynckes zum FC Bayern kam. Nach Louis Van Gaal, so führten mehrere Zeitungen aus, wollten die Bayern schlicht einen „Kumpeltyp“, einen „Freund der Spieler“ und einen „Freund des Vorstands“, der sich eher durch die Kontrolle des eigenen Kaders als des gegnerischen Spiels hervortut.

Kurzum: Man wolle lieber zurück zu einem Motivator à la Udo Lattek – kein verschrobenen Genie, kein Taktikverrückter wie Van Gaal. Dabei galt auch Jupp Heynckes als solcher. Oder nicht?

Vom Weltklassefußballer zum Trainernovizen

Deutschland vs UdSSR 1972

1979 wurde Jupp Heynckes nach einer sehr erfolgreichen Zeit als Spieler zum Trainer von Borussia Mönchengladbach. Heynckes war dabei Teil der großen 1972er-Mannschaft, die für viele als beste deutsche Nationalmannschaft aller Zeiten in die Geschichte einging. In dieser historischen Mannschaft war der gelernte Mittelstürmer in einer Freirolle als Rechtsaußen aufgeboten. Immer wieder zog er in die Mitte, versuchte mit seiner Spielintelligenz und Athletik freie Räume zu finden und zum Abschluss zu kommen. Aus dem 4-3-3 wurde durch Heynckes ein extrem asymmetrisches 4-3-1-2.

Es sollte einer der wenigen Lichtblicke in seiner Nationalmannschaftskarriere sein. Zentral kam Heynckes auf seiner Idealposition nicht an Gerd Müller vorbei. Bei der WM 1974 spielte Heynckes auch nicht mehr als Außenstürmer – es hagelte Kritik an seiner Spielweise als Linksaußen der deutschen Nationalmannschaft. Heynckes war zu sehr Stürmer und zu sehr Athlet (statt Techniker), um über links Gefahr zu entfachen.

Letztlich stand Heynckes immer im Schatten der großen Spieler seiner Zeit. Dabei war er damals vielleicht der modernste aller Mittelstürmer. Immer wieder zog auf die Flügel, ließ sich intelligent fallen und war passabel im Kombinationsspiel, hervorragend in der Spielintelligenz und zugleich ungemein torgefährlich. 195 Tore für die Gladbacher Borussia und 25 für Hannover 96 in drei Jahren bedeuten Platz 3 in der ewigen Bestenliste der Bundesliga – nur hinter Klaus Fischer (268 Tore) und Gerd Müller (365 Tore).

Mit 51 Toren ist er auch der viertbeste Torschütze in den europäischen Wettbewerben. Seine Quote von 0,80 Toren pro Spiel wirdnur von Gerd Müller (0,89) überboten. Zweimal wurde er Torschützenkönig in der dt. Bundesliga (1974, 30 Tore; 1975, 27 Tore), zweimal im UEFA-Pokal (1973, 12 Tore; 1975, 10 Tore), einmal im Pokal der Pokalsieger (1974, 8 Tore) und einmal gar im Pokal der Landesmeister (1976, 6 Tore). 1978 beendete er seine Karriere standesgemäß mit fünf Toren beim 12:0 gegen den BVB.

Dennoch ist der Spieler Heynckes nur wenigen ein Begriff. Dass er ein moderner und hochintelligenter Stürmer war, ist ebenso in Vergessenheit geraten wie seine Errungenschaften als Trainer in den 80ern.

Ein Jahr nach seinem Karriereende übernahm Jupp Heynckes den Trainerposten bei den Fohlen. In seinem freien Jahr hatte er die Trainerlizenz erworben. Um seine theoretischen Kenntnisse zu erweitern, sollte er Latteks Co-Trainer bei Gladbach werden und ihn nach einer möglichst kurzen Lehrzeit (geplant war aber 1980) als Cheftrainer ablösen. Doch als Lattek von diesem Plan erfuhr, war er wenig begeistert. Im stillen Streit trennten sich die Wege von Lattek und der Borussia. Heynckes trat sein Amt also schon im Sommer 1979 an – und er sollte denkbar erfolgreich werden.  Nach einigen Achtungserfolgen zu jener Zeit galt der ehemalige Weltklassespieler als das Trainertalent des deutschen Fußballs.

Jupp Heynckes bei Borussia Mönchengladbach

Die jüngste Mannschaft der Liga erhielt den jüngsten Cheftrainer – bei seiner Ernennung war Heynckes nur 34 Jahre alt. Bereits drei Jahre zuvor hatte Heynckes gesagt, er wolle Trainer werden.

Seine Begründung:

„Weil ich sehe, welche Fehler Trainer heute begehen. Vor allem Zuwendung und viel Verständnis brauchen die Spieler. Technik und Taktik sind zweitrangig, wenn man gute Spieler zusammen hat“ (in der ZEIT, November 1976)

Und hier beginnen die Paradoxe. Fast 25 Jahre später gab es, einem allerdings angeblich fingierten Bericht zufolge, Gerüchte, dass Heynckes bei einer Trainerfortbildung beinahe in Psychologie durchgefallen sein soll. Auch in den 90ern gab es zahlreiche Beschwerden von Frankfurter Spielern an seinem Führungsstil. Auch Lothar Matthäus, der wohl erfolgreichste Jungspieler aus Heynckes´ Gladbacher Zeit, übte vor Heynckes´ Wechsel zu den Münchner Bayern herbe Kritik.

1979 wurde für Heynckes auch beileibe kein „Fußballlehrer“ wie einst Herberger oder Weisweiler als vermeintlicher Mentor geplant, sondern eben jener Udo Lattek – seines Zeichens ein berüchtigter Motivator und selbst ernannter Fußballpsychologe.

Seinen ersten Achtungserfolg feierte Heynckes mit seiner Mannschaft schon im November 1979. Mit 3:2 gewannen sie trotz eines zwischenzeitlichen 1:2-Rückstandes in Mailand gegen Inter im Europacup.

Als Inter Mailand 2:1 führte, schickte Heynckes Ersatzspieler Norbert Ringels auf den Platz und schrie: „Wir gewinnen das noch, die sind kaputt.“ Ringels erzielte das 2:2. Nickel verwandelte einen Elfmeter zum 3:2-Sieg. – im  Spiegel vom 19. November 1979

Gladbach - Grundformation 1980

Frenetisch wurde der Sieg bejubelt. Trotz der glorreichen Vergangenheit in den 70ern galten die Fohlen als Ausbildungsverein. Fast jährlich mussten sie ihre besten Spieler verkaufen. Heynckes wurde bewusst als Trainer installiert, um mit seinem Image als ehemaliger Star des Vereins und als Fußballtheoretiker die Mannschaft Jahr für Jahr möglichst stark neu aufzustellen. Der teilweise noch kritisch beäugte Jungtrainer schwang sich zum Publikumsliebling auf, versuchte aber die Euphorie zu dämpfen.

Was damals keiner ahnen sollte: Einige Monate später im Finale des UEFA-Cups sollte es einen ähnlichen Verlauf wie gegen Inter geben. Der Titelverteidiger aus Mönchengladbach setzte sich im Folgenden nämlich auch gegen den französischen Rekordmeister AS Saint-Étienne und den VFB Stuttgart in einem rein-deutschen Halbfinale durch.

Kurzanalyse: Gladbach gegen Frankfurt 1980 im UEFA-Pokal-Finale

Im Hinspiel des Finals begannen die Gladbacher überzeugend. Sie spielten mit dem für damalige Verhältnisse keineswegs üblichen Pressing und einer intelligenten Raumdeckung. Sie verschoben zwar mannorientiert, aber feste Manndeckungen gab es nur auf Schlüsselpositionen.

Der titelverteidigende Außenseiter aus Gladbach begann druckvoll. Die Frankfurter konnten trotz individueller Überlegenheit eher wenig entgegensetzen. Zwar kamen sie immer wieder gefährlich nach vorne, doch viele Angriffe entstanden nach langen Bällen oder durch das sehr kreative Mittelfeld. Ob Ronald Borchers, Bernd Nickel oder Bernd Hölzenbein: Alle drei waren trotz gutem Doppeln enorm schwer vom Ball zu trennen.

Die Elf von Jupp Heynckes wirkte überaus modern. Die Abwehrkette spielte noch nicht in einem perfekten Linienspiel, war aber den Frankfurtern überlegen. In Ballbesitz ließen sie den Ball lange zirkulieren und nahmen sich im Aufbauspiel Zeit. Frankfurt wurde dadurch nach hinten gedrückt und erhielt kaum Zugriff auf den Gegner. Lange Bälle gab es bei den Fohlen selten, Befreiungsschläge ebenso wenig.

Stattdessen wirkten sie wie eine langsamere und individuell schwächere Version der heutigen Bayern. Die Außenverteidiger Ringels und Schäffer rückten gut getimt und situativ auf, übernahmen im Aufbauspiel viel Verantwortung. Kulik und Matthäus holten sich hinten die Bälle ab, Kulik war allerdings im Offensivgang deutlich gemäßigter. Einer der beiden kippte auch immer wieder gerne ab, wodurch quasi eine Fünferkette im Aufbau entstand, aus der immer wieder Vertikalsprints in offene Räume folgten.

Stand Frankfurt tief oder öffneten sich Räume in deren Formation, dann schoben Schäfer und Hannes nach vorne; fast im gleichen Moment ließ sich zumeist Kulik fallen oder die Außenverteidiger rückten ein, um die Stabilität zu wahren. Zusätzlich gab es vorne einige Positionswechsel von Ewald Lienen und Del Haye, wobei Letzterer der wohl auffälligste Spieler war. Er betätigte sich als Spielgestalter von der Seite, zog in die Mitte, überlud Räume und war ein klarer Aktivposten, während Mittelstürmer Nickel öfters in die Halbräume auswich und Körbel mit sich zog.

Die Positionswechsel der Frankfurter sorgten hingegen für keinerlei Probleme bei Gladbach. Die Raumdeckung funktionierte hervorragend, obgleich Heynckes nach der intensiven Anfangsphase das Pressing tiefer und passiver spielen ließ.

Besonders beeindruckend waren aber das Rückwärtspressing und die hohe Aggressivität im Mittelfeldpressing. Die erste Szene aus diesem Spiel war bezeichnend: Drei Leute pressen im Halbraum den Ballführenden, der den Ball ins Mittelfeld spielt und dort vom Gladbacher Mittelstürmer erfolgreich rückwärtsgepresst wird.

In der Offensive bot Gladbachs Matchplan ein auffälliges Merkmal: Mit einem extrem fluiden Aufbauspiel in der Mittelfeldzentrale überluden sie oft die rechte Seite.  Fast alle Angriffe fanden über diese Außenbahn statt, wobei sie von unterschiedlichen Spielern vorgetragen wurden.

Vermutlich wollten sie Frankfurts Schwachpunkt Horst Ehrmantraut gezielt attackieren, doch Charly Körbel zeigte eine hervorragende Leistung und konnte seinen Linksverteidiger sehr gut unterstützen. Ohnehin stand insbesondere die Mitte mit Pezzey, Körbel, Lorant und den drei polyvalenten und spielintelligenten Akteuren davor bei Frankfurt sehr sicher. Gladbach dominierte zwar im ersten und zweiten Spielfelddrittel, konnte aber kaum zum Abschluss kommen.

Zusätzlich hatte Frankfurt eine gute Rollenverteilung im Aufbauspiel. Lorant war als der wohl am wenigsten kreative Mittelfeldakteur fast durchgehend raumöffnend unterwegs. Hölzenbein ließ sich im Aufbauspiel immer fallen und zeigte sich mit Nickel überaus pressingresistent. Im weiteren Spielverlauf wurde die Elf von Friedel Rausch immer stärker, indem sie die Räume durch Borchers, den beweglichen Bum-Kun Cha und Hölzenbein überlud.

Ohnehin waren Überladungen das zentrale Thema. Beim Ausgleich war es Matthäus, der eine Überzahl nutzte und ins Dribbling ging. Nach einer von vielen Glanzparaden Pohls an diesem Abend war es Kulik, der außerhalb des Sechzehners beim Abpraller zur Stelle war und mit einem tollen Distanzschuss zum 1:1 traf.

Das 1:2 fiel schon fast auf symbolische Art und Weise. Borchers lief diagonal von links bis auf den rechten Flügel, ohne attackiert werden zu können. Eine Flanke auf den zweiten Pfosten wurde von Hölzenbein per Kopf verwertet. Auch das 0:1 wurde durch eine Flanke eingeleitet, aber aus dem Halbfeld. Allerdings fielen beide Tore eher entgegen dem Spielverlauf. Jeweils dominierten die Gladbacher das Spielgeschehen, mussten sich aber zurückkämpfen.

In der zweiten Halbzeit spielte Kulik noch offensiver, Heynckes blies seine Mannschaft wie gegen Inter nach vorne: Zuerst netzte Matthäus ein und danach erhöhte abermals Kulik, nun zum 3:2-Endstand. Generell wussten die Anpassungen Heynckes‘ zu gefallen.

Im Aufbauspiel rückten die Außenverteidiger oft von der Seite in die Halbräume, wenn der Ball ballfern war, um eine einfachere Anspielstationen bei der Ballzirkulation zu bieten. Nach der Halbzeit wurde Kulik nach vorne geschoben und half beim Überladen. Die Fluidität im Aufbauspiel und die Freirolle Del Hayes sorgten ebenfalls für Überzahlen und mehr Ballbesitz. Nach dem Rückstand agierte Gladbach weiterhin mit vielen kurzen Pässen, mehr Ballbesitz und mehr Chancen. Die einzige große Veränderung gab es im Pressing: Es wurde ein hohes und aggressives Angriffspressing praktiziert, was sich letztlich bezahlt machen sollte.

Die erfolglosen Fohlen als Symbol für eine typische Heynckes-Mannschaft?

Die 80er-Mannschaft war in vielen Aspekten bezeichnend für den Ruf, den Heynckes genoss, und den Fußball, den er in weiten Teilen seiner Trainerkarriere spielen ließ. Sie gewannen 1980 nach einer knappen 0:1-Niederlage im Rückspiel zwar keinen Pokal, doch sie galten dennoch als würdevolle Fortführung der großen Fohlen-Elf der 70er. Jupp Derwall nannte sie nach dem Sieg gegen Inter Mailand gar „Heynckes-Babes“ in Anspielung an die „Busby-Babes“ in England gut 15 Jahre zuvor.

Mit viel Ballbesitz, viel Bewegung und der jüngsten Mannschaft der Liga eroberten sie deutschlandweit die Fan-Herzen. Doch auch Kritik gab es – vorrangig von Kommentatoren. Sieht man sich mehrere Zusammenfassungen damaliger Spiele an, hört man oft Urteile wie „zu wenig Flanken“ oder „zu viel Klein-Klein“. Der Kommentator des Spiels gegen Magdeburg im Jahre 1981 sagte::

„Jetzt übertreiben es die Borussen mit diesem Klein-Klein-Spiel“

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Der gleiche Kommentator schwärmte aber auch phasenweise von den Borussen und beschrieb die Magdeburger Gastgeber als „nervös“ – bis diese aus einem Konter ein Tor erzielten, woraufhin er plötzlich die Gladbacher als „nervös“ bezeichnete. Auch in dieser Partie gab es ähnliche Aspekte wie in der obigen Analyse gegen Frankfurt. Magdeburg stand vor eigenem Stadion tief und überließ den Ballbesitz den Gladbachern, die den Ball zirkulieren ließen und letztlich an der Chancenverwertung bzw. dem letzten Pass scheiterten.

Besonders beeindruckend war dabei die Diagonalität der Außenverteidiger, die zum einzigen Treffer durch Ringels bei der 1:3-Niederlage führte. Heynckes selbst wurde nach der Partie aber für seine offensive Aufstellung kritisiert: Mit Veh, Rahn, Pinkall, Wuttke und Mill standen gleich fünf Stürmer oder nominelle „Zehner“ auf dem Platz, dazu gesellte sich noch Matthäus als vertikaler und offensiver Mittelfeldakteur.

Wirklichen Gegenwind gab es für Heynckes in seiner Gladbacher Amtszeit trotz Berg- und Talfahrt nie. Dies ist durchaus als große Leistung anzusehen. Zu jener Zeit scheiterten viele junge Trainer in der Bundesliga, ob Willi Weber oder Ivica Horvat. Eine Studie in den frühen 80ern wollte sogar beweisen, dass junge Trainer den Anforderungen nicht gewappnet waren:

„14 Bundesligatrainer, darunter nur ein Raucher, waren vor und während den Meisterschaftsspielen untersucht worden. (…) Im Spiel erreichten drei noch ziemlich unerfahrene Trainer Spitzenwerte von 156. Durchweg zeigten Trainerneulinge oder Sportlehrer, die dem Bundesligastreß noch keine zwei Jahre ausgesetzt waren, deutlich höhere Werte. (…) Als Gawliczek bei Hertha in Berlin Klimaschefski ablöste, stellte er erst einmal das System um. Statt Raumdeckung, die gewitzten Spielern Gelegenheit zu geringerer Laufarbeit gibt, ordnete er Manndeckung an.“ – im Spiegel, 15. Februar 1982

Im gleichen Artikel wurde Heynckes als die löbliche Ausnahme bezeichnet. Auch hier stellen sich die Fragen aus der Einleitung: Wer ist dieser Heynckes eigentlich? War er damals das Genie, der als einziger mit den erfahrenen Haudegen in einer rauen Bundesliga mitstreiten konnte? Oder doch nur einer, der in der heutigen Trainerlandschaft nicht auffallen würde, damals aber den Gawliczeks mit 08/15-Kniffen voraus war? Einer, der durch das Vertrauen der Gladbacher, deren Status als Dauer-Underdog und als ehemalige Vereinslegende seinen Platz sicher hatte?

„Ein Geheimtip: Borussia Mönchengladbach. Trainer Jupp Heynckes besitzt unter den jungen Trainern das größte Talent.“ – Der renommierte Fußballautor Jürgen Werner bei seinem „Meistertipp“, in der Ausgabe der ZEIT vom 20. August 1982

Die Zeitungen jener Zeit führten auf seinen intelligenten Umgang mit den Spielern zurück. Im Gegensatz zu seinen (mehr oder minder) gleichaltrigen Trainerkollegen war er autoritär und selbstbewusst in seiner Außendarstellung. Er kritisierte seine Spieler intern scharf und hatte wohl wegen der jungen Mannschaft auch eine größere Altersdistanz als seine anderen Kollegen.

Außerdem schloss er sich phasenweise dem Treiben in der Bundesliga an – in seiner eigenen Art, als bedachter, intelligenter und introvertierter Vertreter der Zunft. Mit Klaus Schlappner stritt er sich, mit Udo Lattek und auch mit den anderen Großen und Mächtigen der Bundesliga legte sich Heynckes an. 1984 machte er z.B. seinem Unmut über Uli Hoeneß‘ Transfergebahren in der Causa Matthäus über die Medien Luft. Wirkliche persönliche Angriffe gab es aber nie, diese wurden Trainern wie Udo Lattek überlassen.

Aus jener Zeit ist übrigens eine extrem wichtige Anekdote überliefert, um den Trainer und auch die Person Jupp Heynckes zu verstehen:

„Als Hoeneß davon Wind bekam, daß die Gladbacher ihre letzte Matthäus-Offerte von 374 000 Mark auf 474 000 Mark Jahresgarantie, Prämien extra, erhöht haben, tobte er: „Das ist unmoralisch. Das machen die nur, um die Ablöse hochzutreiben.“

Was am linken Niederrhein wirklich passiert war, ahnte Hoeneß nicht. Es wäre seinem Naturell auch zu fremd gewesen. Nicht der Verein hatte die 100 000 Mark draufgelegt, sondern Heynckes. 50 000 Mark hatte er sich von einer Firma besorgt, für die anderen 50 000 stand er selber gerade. –  Im Spiegel, 28. Mai 1984

Als Heynckes die Gladbacher übernahm, hatten sie unter Lattek zwar den UEFA-Pokal in der vorherigen Saison gewonnen, waren in der Bundesliga aber nur Zehnter geworden. Mit Heynckes selbst, Herbert Wimmer und Rainer Bonhof hatte es drei namhafte Abgänge gegeben. Im folgenden Sommer waren es Wolfgang Kleff, Horst Köppel und Allan Simonsen. Der Trend setzte sich fort, konnte aber durch blutjunge und oft treffende Transfers kompensiert werden.

Dennoch schaffte Heynckes in seiner Debütsaison den sechsten Platz und einen neuerlichen Einzug in den UEFA-Pokal. Den ersten und einzigen wirklichen Einbruch gab es in der dritten Saison, als man sich auf Platz 12 wiederfand, trotz positiver Tordifferenz und einigen sehr guten Leistungen. Im nächsten Jahr, der Saison 1983/84, folgte aber überraschend die beste Spielzeit in der Heynckes-Ära.

Punktgleich mit dem Meister VfB Stuttgart und Ernst Happels Hamburger SV wurde man Dritter. Hätte es damals die Drei-Punkte-Regel gegeben, wären „die Heynckes-Babes“ sogar hinter der Happel-Elf auf Platz Zwei gelandet. Für die Freunde des Konjunktives und unnützen Wissens: Hätte damals nicht die Tordifferenz, sondern der direkte Vergleich gegolten, wäre Heynckes gar das Meisterstück geglückt.

Diese große Gladbacher-Mannschaft – für viele Fans gar die Letzte in der Tradition der großen 70er-Elf – schaffte es in dieser Saison auch ins DFB-Pokalfinale.

Kurzanalyse: Das DFB-Pokalfinale 1984

Ins Auge sticht sofort, dass Heynckes zwar die 1-3-Rollenverteilung mit einem Libero als Abwehrchef nominell weiter betrieb, aber diese praktisch inexistent war. Bruns und Hannes befanden sich zumeist auf einer Linie, es gab einen funktionierenden Kettenmechanismus in der Viererabwehrkette und ein gutes Spiel auf Abseits.

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Frontzeck spielte dabei als sehr offensiver linker Außenverteidiger, Borowka auf rechts zeigte sich deutlich zurückhaltender. Diese Asymmetrie wurde aber durch die beiden Spieler im Mittelfeld auf den Halbpositionen ausgeglichen. Winni Schäfer hielt sich im Vorwärtsgang etwas zurück, während Matthäus in seinem letzten Spiel für die Gladbacher als box-to-box-Akteur seine Stärken entfalten konnte.

Vorne gab es ebenfalls eine Asymmetrie: Rahn zog immer wieder in die Mitte, Mill wich auf die Flügel aus und Lienen spielte als inverser Flügelstürmer auf der linken Außenbahn. Vom Pressing her hatte sich ebenfalls etwas im Vergleich zum 81er-Team verändert. Die Elf von Jupp Heynckes begann in einem tiefen Mittelfeldpressing, gleichzeitig schienen sie sich auch in der Raumdeckung noch eine Spur positionsorientierter und präziser zu verhalten.

Taktische Fortschritte waren also durchaus gegeben; auch eine eigene Variante des Gegenpressings wurde, wie schon 1981, praktiziert. Man versuchte den Gegner nach Ballverlusten zu stellen und ihn am Fortschreiten zu hindern. Zwar sieht dies anders aus als das kollektive und aggressive heutige „Massengegenpressing“ des FC Bayern und des BVB unter Jürgen Klopp, war von der Grundüberlegung her aber ähnlich. Die Gladbacher kamen auch trotz individueller Unterlegenheit zu einigen Torchancen, scheiterten danach am Elfmeterschießen.

Der Heynckes-Abgang und sein letzter großer Auftritt für die Gladbacher

In der Folgesaison dieser bitteren Niederlage wurden die Gladbacher Vierter. 1985/86 gab es sogar einige, die Heynckes‘ Zeit gekommen sahen:

„Hungrig auf den Titel sind mit Sicherheit die Mönchengladbacher. Die Mannschaft ist „dran“. Sie spielt, unter der Regie von Trainer Jupp Heynckes, nun schon seit Jahren den attraktivsten Angriffsfußball in der Bundesliga.“ – Gerhard Seehase, in der ZEIT vom 9. August 1985

Doch der Angriffsfußball sollte nicht belohnt werden. Unter Heynckes wurde man ein weiteres Mal Vierter und in dessen letzter Saison Dritter. Eine solche Platzierung sollte nach Heynckes‘ Abgang bis heute nicht mehr erreicht werden; nach zwei Platzierungen im einstelligen Bereich landete die Borussia  erstmals 1990 in der Nähe der Abstiegsränge (Platz 15).

In den letzten drei Jahren seiner Ägide gab es zwar noch zwei DFB-Pokal-Halbfinals, doch die größte Aufmerksamkeit dürfte in der Retrospektive wohl den Duellen gegen Real Madrid gelten. Im Dezember 1985 schied man spektakulär aus dem UEFA-Cup aus, obwohl die Fohlen mit einem 5:1-Erfolg aus dem Hinspiel ins Santiago Bernabeu gingen. Den Kantersieg am Bökelberg hatten sie sich durch ein herausragendes Bespielen der Schnittstellen und intelligente Flügelüberladungen gesichert. Uwe Rahn stieß immer wieder in offene Räume der überforderten Madrider, während die Königlichen gegen die Raumdeckung der Gladbacher kaum ein Mittel fanden. Es sollte ein Standard sein, der Real das wichtige Auswärtstor brachte, nachdem sie in der zweiten Halbzeit mustergültig ausgekontert worden waren.

Das Rückspiel selbst war ein unglaublich intensives Spiel. Heynckes warnte schon nach dem Hinspiel, man dürfe sich nicht zurücklehnen und das 5:1 sei kein ausreichendes Resultat – er sollte Recht behalten.

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Real zeigte sich extrem offensiv aufgestellt; drei nominelle Mittelstürmer, die sich immer wieder in den Zwischenlinienraum oder die Halbräume fallen ließen, wurden von zwei freien und stark einrückenden Kreativspielern auf den Außenstürmerpositionen flankiert. Diese unterstützten Gallego in der Mitte im Aufbauspiel  – insgesamt war es fast ein 4-1-5.

Gladbach reagierte darauf im Spielverlauf richtig, zog sich eng zusammen und stand sehr kompakt. Sie verschoben in ihrer Raumdeckung stark zum Ball. Zwischen dem 2:0 (Minute 12) und dem 3:0 (Minute 75) verging fast eine Stunde, in der sie Real den Wind zumindest teilweise aus den Segeln nahmen.

Letztlich wurden sie aber dennoch vorgeführt. Real war in der Arbeit gegen den Ball extrem aufmerksam und überaus aggressiv im Pressing, wodurch die überforderten Gladbacher kaum aus ihrer eigenen Hälfte kamen. Die Konter konnten nicht zu Ende gespielt werden und dennoch: Sie waren dem Weiterkommen nahe. Das 4:0 fiel in der 90. Minute; alle vier Gegentore fingen sich die jungen Gladbacher nach hohen Hereingaben in den Strafraum. Gladbach schied aus, Real gewann den UEFA-Pokal und Heynckes? Der ließ 2013 seine Bayern im Rückspiel beim FC Barcelona mit einem hohen statt einem tiefen Pressing spielen. Ob es an diesem Spiel lag?

Heynckes und die Bayern

Heynckes Ehrgeiz und Hunger nach Titeln trieb ihn 1987 aus Mönchengladbach zu den Münchnern, die in einer kleinen Krise steckten. Im Jahr zuvor überholten die Bayern den 1. FC Nürnberg als deutschen Rekordmeister und konnten drei Titel in Folge feiern. Mit Heynckes sollte die Modernisierung der Mannschaft vorangetrieben werden. Das Ziel war eine schleichende Veränderung der Mannschaft, die im Sommer zuvor den Landesmeister-Titel trotz einer 1:0-Führung gegen den FC Porto verpasst hatte.

Dieser schleichende Umbruch gestaltete sich zunächst schwierig. Ein Aspekt betraf – wie sollte es bei Spielverlagerung anders sein – die Taktik. Bayern spielte zu jener Zeit mit einem klaren Libero, ohne Linienspiel und ohne eingeübte Kettenmechanismen. Auch die Raumdeckung wurde nicht wirklich genutzt, Offensiv wiederum mussten sich nicht die Spieler, sondern Heynckes anpassen. Der Kader der Münchner verlangte hier eine pragmatischere Ausrichtung. Dadurch landeten die Bayern in der Debütsaison Heynckes‘ nur auf Platz Zwei.

„Wir haben, das ist ja bekannt, uns von Spielern getrennt, die in der vorigen Saison nicht mehr mitzogen und sie durch junge, noch hungrige Profis ersetzt. Ich versuche, eine Synthese zu finden aus erfolgreichem und attraktivem Spiel. Wobei hier in München der Erfolg absolute Priorität hat. Zu den Zeiten von Hennes Weisweiler ging es in Mönchengladbach vor allem darum, den Leuten schönen Fußball zu zeigen. Bei den Bayern zählt nur das nackte Ergebnis.“ – Jupp Heynckes im Spiegel, 5. Dezember 1988

Die deutlich größeren Probleme waren aber struktureller Natur.

Jupp Heynckes wollte sich wie schon in Gladbach auf die Jugend fokussieren. Der Unterschied zwischen dem FC Bayern und einer Mannschaft wie Borussia Mönchengladbach besteht aber darin, dass sich Jugendspieler unter unterschiedlichen Bedingungen entwickeln müssen.

Bei einem durchgehenden Titelaspiranten, der medial so stark im Fokus steht, werden die Leistungen von jungen und naturgemäß inkonstanten Spielern deutlich extremer dargestellt. Agiert ein Jungspieler auf hohem Niveau, so wird er automatisch zur Nachwuchshoffnung des gesamten Landes– spielt er schlecht, ist er eine Nulpe, die einer großen Mannschaft den Sieg gekostet hat.

So wurde Heynckes in seiner Bayernzeit dafür kritisiert, dass er Spieler wie Thomas Strunz oder Manni Bender einsetzte. Auch Transfers wie Alan McInally und Radmilo Mihajlovic, wurden kritisch beäugt. Heynckes hatte außerdem Probleme mit seinem Vorgänger Udo Lattek, der ihn über die Medien mehrmals verbal angriff.

Die „mind-games“, die Sir Alex Ferguson in der Premier League großmachte, gehörten in der Bundesliga damals zum Alltag. Lattek unterstellte Hoeneß öffentlich, dass er sich mit Heynckes bewusst einen „schwachen Trainer“ geholt habe, um die Zügel selbst in der Hand zu behalten. Medien von damals sahen die Verpflichtung von Heynckes ohnehin nur als Akt von Hoeneß, um Lattek eines auszuwischen.

Auch Christoph Daum äußerte sich extrem negativ über Jupp Heynckes, der seiner introvertierten und professionell-sachlichen Linie treu blieb, dafür aber Uli Hoeneß sprechen ließ. Die Diskussionen im Sportstudio sind bis heute legendär:

„Die Wetterkarte ist interessanter als ein Gespräch mit Jupp Heynckes“ – Christoph Daum

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Meister wurde trotzdem der FC Bayern.

Dennoch gibt es etwas Wahres an diesen „mind-games“: Sie werden zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen, wenn man daran glaubt. Und damals glaubten die Spieler noch in Massen an die Beeinflussung ihrer Trainer. In England z.B. ist dies bis heute der Fall. Es war auch kein Wunder, denn viele Erfolge von Trainern zu jener Zeit gingen mit medialen Rundumschlägen und einer markanten Persönlichkeit einher. Wie bei Ferguson wurde aus der Korrelation zwischen „mind-games“ und „Aufholjagden oder Titeln“ eine Kausalität, die sich als psychologischer Faktor in den Köpfen der Spieler, Vereinsfunktionäre und Medien festsetzte. Ein in der Retrospektive extrem lesenswerter Beitrag erschien dazu im Oktober 1987 im Spiegel.

Unabhängig davon, ob dies eher als Schwachsinn oder nicht anzusehen ist, erhöhte es für Jupp Heynckes in jener Zeit den Schwierigkeitsgrad seiner Trainertätigkeit. Hierbei muss auch aus fachlicher Sicht der zeitliche Kontext beachtet werden.

In jener Zeit gab es keine als allgemeingültig geltenden taktischen Aspekte wie Kettenmechanismen, das Linienspiel, die Kompaktheit oder das Pressing, welche heute von 90% aller Mannschaften gespielt werden. Es gab kaum Vorreiter von jungen Trainern, die sich über die fachliche Kompetenz, als ihre Ausstrahlung und Vita definierten.

Jeder einzelne Aspekt der Spielphilosophie – besonders eines jungen und titellosen Trainers beim FC Bayern – konnte damals in Frage gestellt werden. Jupp Heynckes war mit seiner Ausstrahlung, seiner Fähigkeitsverteilung und seinen zwar intelligenten, aber immer zurückhaltenden Äußerungen der Antipol zur Ära Udo Lattek. Seine einzigen größeren Reibereien hatte er mit dem FC Bayern selbst gehabt, als diese Matthäus wegschnappten, den er nun wieder trainierte.

Zu diesen Problemen kamen zwei weitere hinzu, die direkt den Kader betrafen. Einerseits waren die Spieler für eine Defensivspielweise wie von Heynckes gefordert körperlich zu schwach, andererseits gab es mentale Probleme innerhalb des Teams. Dieses deutlich größere Problem in jener Bayern-Mannschaft schildert Heynckes selbst am besten:

„Ehemalige Bayern-Spieler haben mich bei meinem Amtsantritt gewarnt, daß ich von meinem Vorgänger einen Sauhaufen übernehmen würde. So war es auch. Diese Cliquenwirtschaft innerhalb der Mannschaft, das Statusdenken der Stars, der Konkurrenzkampf der Münchner Boulevardzeitungen, der auf meine Kosten ausgetragen wurde – ich sage heute ganz ehrlich: So schwer hatte ich mir den Job nicht vorgestellt.“ – Jupp Heynckes im Spiegel, 5. Dezember 1988

Das beste Beispiel die vergiftete Mannschaftsatmosphäre: Einige Spieler forderten Nachtweih als Libero. Heynckes ging damit konform. Im Vergleich zu Klaus Augenthaler sollte dies eine spielstärkere und offensivere Ausrichtung ermöglichen. Nachtweih wurde dann als Libero testweise eingesetzt und sollte schrittweise Stammspieler werden.

Die fachlich vorgetragenen Bedenken der Münchner Spieler waren allerdings keine; ihnen ging es um eine Demontage Augenthalers, was letztlich scheiterte. Heynckes stand vor der Wahl zwischen einer individuell hochwertigen Mannschaft, der es aber an den Fähigkeiten für seine Spielweise und an Disziplin fehlte – er entscheid sich für seine Spielphilosophie.

Nach der ersten Saison wurden Lothar Matthäus, Andy Brehme, Jean-Marie Pfaff und Norbert Eder verkauft, die allesamt entweder innerhalb der Mannschaft negativ auffielen oder von ihrer Spielweise nicht zur neuen Spielphilosophie passten. Als Ersatz kamen fünf neue Spieler, allesamt jünger als 24 Jahre und bildeten das Grundgerüst einer neuen Mannschaft.

Der Libero als solcher wurde abgeschafft. Zuerst sollte Stefan Reuter als möglicher neuer „Libero in einer Linie “ aufgestellt werden, am Ende war es abermals Klaus Augenthaler, der spielte – allerdings als moderner Innenverteidiger, der in Ballbesitz das Spiel gestaltete und nach vorne schob, bei gegnerischem Ballverlust aber auf einer Linie mit seinem Partner agierte. Den Libero gab es zwar noch in der Rollenverteilung, aber nicht mehr in der Anordnung im Defensivspiel. Die Bayern spielten nun mit mehr Kurzpässen, weniger Individualismus und einem modernen Spielsystem: Mittelfeldpressing, Viererkette, Abseitsfalle. Kritik gab es trotz Erfolgen, wie dieses Interview zeigt:

„SPIEGEL: Es war gewiß keine, wie das italienische Fachblatt „Tuttosport“ schwärmte, „märchenhafte Heldentat“, Ihr Team in München zu besiegen. Für den FC Bayern war Inter einfach eine Nummer zu groß, wie überhaupt der Respekt der Bundesligaklubs vor Ihrer Mannschaft ziemlich übertrieben wirkt. So gut ist die, im Vergleich mit Bremen, Stuttgart oder Köln, doch gar nicht besetzt.

HEYNCKES: Wir sind Herbstmeister, haben die meisten Tore geschossen und die wenigsten kassiert. Das reicht doch wohl.

SPIEGEL: Max Merkel meinte unlängst, bis auf Thon und Dorfner, „die noch nicht ausgereift sind, stehen in dieser Elf zu viele Durchschnitts-Fußballer“.

HEYNCKES: Unsere Vorzüge sind Moral, Disziplin, Wille und auch das fußballerische Können. Nur so ist das kräftezehrende Laufspiel zu praktizieren, mit dem wir den Gegner unter Druck setzen. Daß zum Beispiel Spieler wie Thon, Reuter oder Dorfner noch nicht ausgereift sind, wissen wir auch.“ – Ein Interview im Spiegel, 5. Dezember 1988

Im Gegensatz zu nahezu allen damaligen Trainern konzentrierte sich Heynckes auf die sekundären Aspekte eines Spielers. Nicht die reine Qualität war ausschlaggebend, sondern auf welche Art und Weise diese auf den Platz gebracht werden konnte.

In den Spielen sah man auch klar erkennbar die Viererkette im Mischsystem aus Raumdeckung mit einzelnen Manndeckungen und gegen tiefstehende Mannschaften gab es durchaus Ballbesitzfußball. Auch das fluide Aufbauspiel, die vielen aufrückenden Läufe und das „Vorderlaufen“ der Außenverteidiger war abermals sichtbar; unzweifelhafte Parallelen zu seiner Spielweise bei Borussia Mönchengladbach. Interessant ist auch, wie in dieser Saison mit Ausfällen umgegangen wurde.

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Gegen Inters asymmetrisches und defensiv ausgerichtetes 5-4-1 im Rückspiel ließ man Reuter die Halbräume und Mitte überladen, Nachtweih beackerte die Seite, gleichzeitig half Pflügler Ekström auf der linken Außenbahn. Dorfner und Thon bildeten eine offensivstarke Zentrale, die immer wieder von Augenthaler unterstützt wurde.

Im Hinspiel gegen Neapel spielte dann Reuter als Linksverteidiger und sollte Kögl unterstützen, während Hansi Flick Maradona in Manndeckung nahm. Die Abwehrkette war leicht asymmetrisch, um am besten gegen die gegnerischen Stürmer vorgehen zu können. Auch in Neapel kontrollierte man den Ballbesitz, verlor aber 2:0 – im Rückspiel ging sich mit offensiverer Besetzung nur ein 2:2 aus.

Dennoch waren die Bayern jener Zeit interessant. Reuter und Kögl waren unterschiedliche Flügelspielertypen, Reuter selbst ging immer wieder in die Mitte und galt als sehr athletischer, spielintelligenter und polyvalenter Akteur. Mit Flick, Eck, Dorfner und Co. konnte die Mitte variabel besetzt werden. Die Mannschaft selbst wirkte wie eine Mischung aus 4-3-3 und 4-4-2 mit einem Fokus auf Überladungen auf der linken Seite.

Dieses Grundgerüst wurde in der folgenden Saison noch verstärkt. Für Eck, Wegmann, Nachtweih und Ekström wurden Bender, Strunz, Schwabl, Mihajlovic, McInally und Kohler verpflichtet. Die Meisterschaft konnte mit acht Punkten Vorsprung gesichert werden. Heynckes arbeitete weiter an einer verbesserten Mannschaft, als man relativ sang- und klanglos in Europa ausschied. Mit Stefan Effenberg, Michael Sternkopf, Brian Laudrup und Christian Ziege kamen wieder vier talentierte und sehr junge Spieler (alle unter 21 Jahren), doch jetzt begann es in der Mannschaft zu brodeln.

Einige kritisierten den Jugendtrend und das Festhalten an einigen älteren Spielern; es gab keinen einzigen Spieler zwischen 28 und 31 Jahren, über 31 Jahren ohnehin nur zwei und einige der Spieler waren schlichtweg nicht gut / reif genug oder mussten erst in bestimmte Rollen hineinwachsen; Christian Ziege spielte mit nur 19 Jahren plötzlich als Libero, Stefan Effenberg drohte in der Kabine Trainer Heynckes gar Prügel an.

Letztlich gab es einen Einbruch in der Mannschaft, deren Ursachen nicht genau geklärt werden kann. Es war wohl eine Mischung aus mehreren Aspekten: Die individuelle Qualität wurde zugunsten eines taktischen Konzepts ein kleines Bisschen geopfert, während die jungen Spieler ihren Erwartungen nicht vollends gerecht werden konnten. Im Sommer 1991 wanderten Stefan Reuter und Jürgen Kohler nach Italien ab und Klaus Augenthaler beendete seine Karriere.

Auch Heynckes verlor, immerhin erst nach über vier Jahren bei den Bayern, langsam die Kontrolle über seine Mannschaft. Das ist allerdings ein wiederkehrendes Merkmal bei nahezu allen großen Trainern, die eine Mannschaft nicht groß gemacht haben, sondern zu einer großen Mannschaft kamen; ob Ernst Happel beim HSV, Ottmar Hitzfeld bei den Bayern oder gar Pep Guardiola in seiner letzten Saison und José Mourinho aktuell bei Real Madrid und einst bei Chelsea, sie alle mussten solchen minimalen, aber in der Summe signifikanten Verfallerscheinungen in unterschiedlichsten Aspekten Tribut zollen.

 „Wir haben das Talent Sternkopf gekauft, nicht den fertigen Spieler.“ – Heynckes gegenüber dem Spiegel, 27. Mai 1991

Dass es nicht nur an Heynckes gelegen haben kann, zeigen nicht nur seine zwei Meisterschaften zuvor, sondern auch die Leistungen der Mannschaft danach. Weder sein Nachfolger Sören Lerby, noch dessen Nachfolger nach nur fünfmonatiger Amtszeit, Erich Ribbeck, konnten den Bayern einen einstelligen Tabellenplatz bescheren. Die Ursache ist schnell und einfach zu erklären: Ein guter Trainer hatte mit einer passenden, aber ohne Stars spielenden Mannschaft Titel geholt, doch irgendwann verlor das System an Stabilität und die weniger kompetenten Nachfolger vermochten ebenso wenig an den Schrauben zu drehen.

Wohl auch darum bezeichnete Uli Hoeneß die Entlassung Heynckes‘ als seinen größten Fehler. Intern setzte er sich sogar dagegen ein, das endgültige Kommando zum Abschuss gab Fritz Scherer.

„Jupp Heynckes wäre Trainer geblieben, wenn das hier meine Firma wäre
 – Uli Hoeneß zu Heynckes Rauswurf

Die Entstehung von Don Jupp

Nach einem Jahr Pause heuerte Heynckes bei Athletic Club an, einem traditionsreichen baskischen Verein. Von Platz 14 führte er sie auf Platz 8 und in seiner zweiten Saison gar mit Platz 5 in den UEFA-Pokal. Schnell mauserte sich Heynckes zum Helden der Fans bei Athletic. Dazu muss man wissen: Der Stereotyp des entspannten, faulen und in sich selbst ruhenden Spaniers trifft auf die Basken nicht zu. Die Basken sind die Preußen Spaniens, wenn man so will. Hart und diszipliniert zu arbeiten wird auch im Fußball praktiziert. Zudem denken sie deutlich weitreichender, nachhaltiger und konzeptorientierter.

„Dem Bedürftigen zu geben, heißt nicht schenken, sondern säen.“ – Baskisches Sprichwort

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In diese Philosophie passte Heynckes perfekt. Heynckes arbeitete junge Talente ein und sah die baskische Mentalität, die Sprache und die spezifischen Eigenschaften des Vereins, insbesondere auf dem Transfermarkt, als einzigartige Herausforderungen. Immer wieder äußerte er sich zu seiner Arbeit als „Detailarbeit“, die ihm sehr gefalle: Junge Talente aus einem begrenzten Markt filtern, sie in die Mannschaft führen und gleichzeitig in einem realistischen Maß relativen Erfolg erreichen.

Zusätzlich wusste Heynckes genau, wie er Verein und Fans von Beginn auf seine Seite ziehen konnte. Er lernte Wortfetzen der schwierigen baskischen Sprache, befasste sich mit dem Verein und kannte schon bei seinem ersten Besuch alle wichtigen Funktionäre und Sponsoren mit ihren ganzen Namen. Dank dieser Einstellung wurde er zum Liebling der Massen. Man verglich ihn schon mit Johan Cruyff, der beim FC Barcelona viele Jahre zuvor ähnlich gearbeitet hatte, wenn auch in größerem Maßstab.

Ähnliches gab es auch in seiner Trainerstation bei Teneriffa ab 1995. Abermals war es ein kleiner Verein, den er auf Platz 15 übernahm. Doch die Erfolge waren sogar noch größer. Schon in der ersten Saison landeten sie auf Platz 5, vor Real Madrid. Heynckes baute sein Offensivspiel sehr effektiv um den Wandspieler Juan Antonio Pizzi.

Wie schon bei Athletic Bilbao wechselte Heynckes zwischen Mittelfeldpressing und hohem Abwehrpressing. Er stellte Pizzi je nach Spielsituation einen groß gewachsenen oder einen kleinen Partner zur Seite. Das 4-4-2 wurde manchmal wie ein 4-1-3-2 praktiziert, um im Umschaltspiel mehr offensive Durchschlagskraft zu haben.

Pizzi wechselte nach dieser erfolgreichen Saison. Teneriffa stand ohne ihren einzigen Star da – doch Heynckes passte sich an. Auch in der nächsten Saison kamen sie auf einen einstelligen Tabellenplatz und – noch wichtiger – verkauften sich international mehr als gut. Sensationell schaffte es Teneriffa bis ins Halbfinale des UEFA-Cups, wo sie in der Verlängerung gegen den späteren Sieger Schalke 04 ausschieden.

Auch in den Partien gegen die Gelsenkirchner überzeugten sie. Von Heynckes‘ ehemaligem Angriffsfußball waren nur noch Basisaspekte verblieben. Es gab nach wie vor ein intelligentes Aufbauspiel mit gutem Positionsspiel, doch der Fokus lag auf der Defensive und dem Umschalten.

Aus dem 4-4-2 erzeugten sie immer wieder 4-1-3-2-Stellungen und spielten bei gegnerischem Ballbesitz mit einer sehr engen Abwehrkette und einer breiteren Mittelfeldkette, um die gegnerischen Flügel abzusperren. Das Loch des 4-4-2 im Pressing wurde durch enorm intelligentes Herausrücken der zentralen Akteure kompensiert, die individuelle Unterlegenheit bei Gleichzahlsituationen bei Kontern wurde durch Gegenpressingansätze kaschiert.

Nach diesen sensationellen zwei Jahren bei Teneriffa heuerte er bei Real Madrid an. Ziel: Der Champions-League-Sieg.

Von Champions-League-Siegen und fragwürdigen Entlassungen

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Ein 40-Seiten-Dossier sollen die Analysten von Real Madrid über Teneriffa angefertigt haben. Das Ergebnis war die Verpflichtung von Jupp Heynckes. Es gab damals viel Lob an Teneriffa für ihren intelligenten und variablen Fußball – es sollte auch viel Lob für Real unter Jupp Heynckes geben, die aber den Ligatitel bereits früh verloren. Louis Van Gaals Barcelona hatte den besten Saisonstart in der Vereinsgeschichte hingelegt, während Real mit Heynckes und dessen taktischen Veränderungen erst noch warm werden musste. Bereits im November 1997 wurde der Clásico zwischen den beiden Teams zum Duell hochstilisiert, das die Meisterschaft entscheiden würde – und Heynckes´ Madrilenen verloren. In einem ausgeglichenen Spiel im Santiago Bernabeu konnte sich Barcelona knapp mit 2:3 durchsetzen.

Über die gesamte Meisterschaft hinweg gab es Probleme in der Mannschaft. Sie war zu unkonstant, Heynckes galt als zu autoritär und Spieler wie Davor Suker oder Predrag Mijatovic als natürliche Feinde jedes Konzepttrainers. Umso größer ist wohl die Leistung Heynckes´ in der Champions League zu gewichten, wo sie das Endspiel gegen Juventus erreichten.

Kurzanalyse: Das Champions-League-Finale 1998

Die Italiener begannen in einem 4-3-1-2 statt in einem 4-4-2. Oft wird die Aufstellung dieses großen Juventus-Teams, das drei Mal in Folge ins CL-Finale kam, als klassisches 4-4-2 (oder gar mit Fünferkette) bezeichnet. Zumindest in diesem Spiel war es eine Raute, die auch auf diese Art und Weise gespielt wurde. Zinedine Zidane spielte dabei nicht auf dem linken Flügel, sondern in seiner Paraderolle als Zehner hinter zwei Stürmern.

Interessant war das Übernehmen der linken Seite in der Offensive. Hier ging manchmal Edgar Davids mit nach vorne, oft war es Gianluca Pessotto, der die Breite gab und auch Zidane oder Del Piero ließen sich immer wieder auf die linke Seite fallen. Nominell könnte es also durchaus ein 4-4-2 mit Zidane auf der linken Außenbahn gewesen sein, doch dieser hatte offensiv wie defensiv eine Freirolle und Di Livio spielte eingerückter als es für einen Rechtsaußen üblich gewesen wäre.

Die Turiner zeigten sich auch im Defensivspiel überaus diszipliniert, hatten ein sehr gutes Kettenspiel, eine starke Strafraumverteidigung und ein hervorragendes Linienspiel – nicht nur für jene Zeit war es überdurchschnittlich.  Real konterte diese Spielweise mit einem sehr interessanten 4-4-2/4-3-3-Hybridsystem.

Auch hier zeigt sich das hochintelligente Nutzen von Asymmetrien und einem fluiden Aufbauspiel. Redondo war nicht der einzige Anspielpunkt, sondern bewegte sich immer wieder raumöffnend auf die Seite, während Karembeu in die Mitte einrückte. Es gab auch viel freies Abkippen und Herauskippen, insbesondere von Karembeu, der dadurch Roberto Carlos ein paar Mal in die Höhe schob.

Zusätzlich gab es mit Seedorf als nominellem rechtem Flügel bzw. Halbspieler einen weiteren herausragenden Individualisten und Kreativspieler. Raul pendelte zwischen Mitte, wo es dann ein 4-3-1-2/4-3-3 gab, und dem linken Flügel hin und her. Mijatovic hatte ebenfalls eine Freirolle: Manchmal tauchte er auf dem rechten Flügel auf, manchmal auf dem linken und pendelte als von Defensivaufgaben befreiter Stürmer hin und her.

Aus dieser Wechselformation zwischen 4-3-1-2/4-3-3 und 4-4-2 (mit Seedorf Rechtsaußen) entstand auch im Defensivspiel eine variable Formation. Real presste mit einem Mittelfeldpressing in einer positionsorientierten Raumdeckung, aus dem oft einzelne oder mehrere Spieler herausrückten – ein typisches Heynckes-Merkmal, wie wir festgestellt haben.

Manchmal gab es ein 4-3-3-Pressing, in welchem sich die Stürmer als Dreierreihe orientierten, und manchmal ein 4-4-2, wo zumeist Raul auf der linken Seite gegen den defensiveren Torricelli spielte. In einer Szene doppelte Raul sogar mit Roberto Carlos gegen den durchstartenden Di Livio. Das 4-3-3 entstand besonders nach Ballverlusten, in denen – ebenfalls typisch Heynckes – „lose“ gegengepresst wurde. Mit diesem intelligenten Stellen verhinderten sie Konterangriffe.

Um diese fluide Spielweise näher zu zeigen, sehen wir uns vier Szenen aus dem Spiel an.

Szene 1

Szene 1

In dieser Szene fächerte Juventus schnell nach einem Ballgewinn auf und Davids versuchte mit Ball am Fuß nach vorne zu gehen. Fernando Morientes presste ihn von hinten, Raul von vorne und Seedorf rückte von der Seite ein. Besonders interessant ist das StellungsspielSeedorfs, der mit seinem Deckungsschatten Pessotto als Anspielstation effektiv aus dem Spiel nimmt und gleichzeitig den Druck auf den Ballführenden erhöht. Gut zu erkennen ist die relativ hohe Kompaktheit Reals und die defensive Freiheit im Pressing, welche für ein aggressives Pressing genutzt wird.

Szene 2

Szene 2

Nun ist es nicht Juventus, das auffächert, sondern Real Madrid. Raul ist frei auf der linken Seite, Seedorf gibt dem Spiel die nötige Breite und Roberto Carlos schiebt nach vorne und vorderläuft ihn. Die 4-4-2-Formation wirkt in diesem Fall ineffektiv: Für Raul gibt es keine direkten offenen Anspielstationen, doch für ihn ergeben sich mehrere Optionen:

a)      Eine Bewegung nach hinten und die Suche nach einem sicheren Pass.

b)      Ein Raumpass auf Redondo, der ohnehin immer wieder intelligent aufrückte oder gar auf die Seiten ging.

c)       Ein Dribbling (Die Lösung, für die er sich entschied).

Szene 3

Szene 3

Hier sieht man Seedorfs Einrücken in den Halbraum und Karembeus bewegliche Rolle – von halblinks ging er auf halbrechts, spielte von dort einen Pass auf Panucci, der den Ball in den Strafraum brachte. Eine Szene, die letztlich vorrangig in dieser Analyse vorhanden ist, um das unangenehme Fluten des Strafraums mit drei torgefährlichen Stürmern zu zeigen, das die Madrilenen praktizierten.

Szene 4

Szene 4

Die vierte Szene dürfte wohl die eindrücklichste sein. Aus dem Spiel heraus kombinieren Mijatovic und Raul auf dem linken Flügel, während Roberto Carlos zu Beginn als sichere Anspielstation im defensiven Halbraum wartet. Seedorf stößt instinktiv in die Spitze und gibt mit Morientes die Tiefe. Dadurch wird Juventus‘ Zwischenlinienraum erweitert, während Panucci auf der rechten Seite die Breite gibt. Im weiteren Spielverlauf kann Roberto Carlos nach vorne schieben, Raul orientiert sich stärker in die Mitte und Mijatovic zieht ebenfalls dorthin. Karembeu und Redondo bilden einmal mehr eine situative Doppelsechs; phasenweise wirkte diese Mannschaft wie ein 4-2-3-1.

Vom Scheitern

Trotz des Finalsieges wurde Jupp Heynckes entlassen; zu unkonstant waren die Leistungen in der Liga, zu weit lagen sie hinter dem Meister aus Katalonien. Es war nicht die einzige Trainerstation, bei der Heynckes scheiterte. Bei Benfica Lissabon konnte er nach einer starken Anfangsphase ebenfalls nur abgeschlagen hinter dem Spitzenreiter Dritter werden. Auch hier dauerte sein Engagement nur eine Saison. Einen solchen Misserfolg hatte Jupp Heynckes schon 1994 bei Eintracht Frankfurt erlebt.

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Wie bei eigentlich jedem Scheitern in seiner Karriere gab es zwei große Probleme: Die Mannschaft konnte oder wollte seine Ideen nicht umsetzen und er selbst stieß mit seiner Art und Weise bei der Mannschaft an. Heynckes forderte letztlich nur etwas, das heute absoluter Standard ist: Disziplin.

Kultkicker Anthony Yeboah soll 1994 laut Medienberichten von damals mit neun Kilo Übergewicht aus dem Urlaub gekommen sein. Mit einem ähnlichen Übergewicht war der ehemalige Weltfußballer Ronaldo bei Real von Fabio Capello auf die Bank gesetzt worden. Heutzutage würde es für Anthony Yeboah eher Parodien von Matze Knop auf den Spieler geben, als einen Zwist zwischen Trainer und Verein(-sführung).

Dass Heynckes sich allerdings bei der Suspendierung Yeboahs und der anderen Frankfurter Zauberer im damaligen zeitlichen und medialen Kontext etwas ungelenk verhielt, entspricht vermutlich ebenso der Wahrheit. Dass es allerdings auch Probleme im Trainingsbetrieb gab, an denen nicht Heynckes Schuld war, muss erwähnt sein. Wer vom Gesundheitsamt gesperrte Umkleidekabinen besitzt, hat keine infrastrukturellen Voraussetzungen für eine ordentliche Trainingsarbeit.

Die Disziplin des damaligen Zaubertrios Gaudino, Okocha und Yeboah (die ersteren beiden meldeten sich nach der Suspendierung Yeboahs krank) ließ zu wünschen übrig. Das Problem war aber, dass die Eintracht von der individuellen Klasse dieser drei Spieler lebte. Heynckes muss einzig vorgeworfen werden, dass er es nicht schaffte, seine Stars zu Kollektivspielern zu entwickeln und sie dafür auf seine Seite zu ziehen.

„ Wir hatten Angst vor Weisweiler. Heute muß keiner mehr Angst vorm Trainer haben. Umso überraschter sind jetzt in Frankfurt einige Spieler, daß plötzlich Jupp Heynckes vor ihnen steht, der ein Schleifer par excellence ist. Dem geht Disziplin über alles – aber das ist die einzige Sprache, die die meisten Profis verstehen. Nur in Einzelfällen müssen Spieler gestreichelt werden.“ – Toni Schumacher im Spiegel, 12. Dezember 1994

Nach dem Debakel bei der Eintracht flüchtete er nach Spanien; nach dem Scheitern bei Real und Benfica ging Heynckes ebenfalls wieder zu einem kleineren Verein, dieses Mal wieder Athletic Bilbao. Er besserte die Mannschaft wieder auf und ging nach drei Jahren zu Schalke 04. Hier scheiterte er abermals.

Auf Schalke ließ er  ein 4-4-2 mit 4-4-1-1/4-2-3-1-Ansätzen spielen und konnte zumindest eine Saison überzeugen, doch 2004 wurde Heynckes entlassen. Er selbst bewertete seine Amtszeit und seine Arbeit aber immer positiv.  Er führte eine hohe Defensivkompaktheit ein und die Schalker jener Zeit spielten mit guter Raumaufteilung. Anders war dies bei Borussia Mönchengladbach, seiner nächsten Trainerstation.

Nach nur einem halben Jahr musste Heynckes gehen. Zuvor war er aus gesundheitlichen Gründen zwei Jahre ohne Arbeit gewesen. Gladbach startete gut in die Saison, vier der vier Siege unter Heynckes (und vier von sechs Siegen insgesamt in der Saison) holten sie in den ersten sieben Spielen. Wieso brachen sie zusammen? Woran scheiterten sie? Kein Zeitungsbericht und keine Quelle von damals bringen hierzu ordentliche Gründe hervor. Morddrohungen soll es gegen Heynckes gegen haben, dazu noch interne Probleme mit Verein und Spielern, Verletzungsprobleme und notorische Abschlussschwäche.

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Die Bilder von damals lassen ebenfalls keinen endgültigen Schluss zu. Die Mannschaft wirkt normal, eine Mannschaft, deren Kollektivspiel zu ihrer individuellen Stärke passt. Eventuell war auch das das Problem. Der Mannschaft fehlten sämtliche Aspekte, um die typischen Heynckes-Merkmale umzusetzen. Gladbachs Angriffsfußball der 80er und der Selbstanspruch von Heynckes waren zu weit weg von der Gladbacher Mannschaft Mitte der 2000er, die letztlich sang- und klanglos abstieg. Es schien, als ob Heynckes spezielle Mannschaften benötigte: Arbeitsam, in Kernbereichen talentiert und möglichst jung. Der FC Bayern sollte ihm den Sprung zu einer solchen Mannschaft ebnen.

Das Revival und seine Symbolik

2008/09 wurde Jürgen Klinsmann Trainer bei den Bayern – er sprach von schneller Ballrückeroberung, Powerfußball und dem Ein-Kontakt-Spiel der Engländer. Doch seine Zeit währte nur kurz. Fünf Spieltage vor Schluss wurde der Schlussstrich gezogen. Jupp Heynckes sollte die Münchner noch in die Champions League führen, um zumindest das Minimalziel zu erreichen. Dies schaffte er auch, indem er aus dem fitten Restkader nahezu das Maximum rausholte. Mit fast chirurgischer Präzision stellte er richtig auf, ließ sogar einmal mit Raute spielen und konnte vier der fünf Spiele gewinnen.

Diese überzeugende Manier holte Heynckes ganz schnell zurück in das Tagesgeschäft der Bundesliga. Bayer Leverkusen klopfte an und nahm ihn unter Vertrag. Bei Leverkusen fand Heynckes die richtige Mischung und – noch wichtiger – die richtigen Charaktere. Spätestens seit den späten 2000er-Jahren und der neuen Generation junger Spieler, die zur Mündigkeit und Selbstverantwortung erzogen wurde, scheint Heynckes endlich sein Zielpublikum gefunden zu haben. Heynckes ist nämlich nicht autoritär, auch wenn er als solcher dargestellt wird; ganz im Gegenteil.

Jupp Heynckes erwartet sich von seinen Spielern nämlich kein bedingungsloses Befolgen jeglicher Anweisungen. Heynckes ist ein Typ wie Ernst Happel, Louis Van Gaal oder Sir Alex Ferguson, die „mündige“ Spieler wollen, daran aber auch Bedingungen knüpfen. Ein mündiger Spieler hat ein Mitspracherecht bei seinen Trainern.

Ernst Happel hatte beispielsweise oft mehrere Spieler, mit denen er sich vor Partien über mögliche taktische Marschrouten austauschte. Ähnliches praktizierten auch Ferguson und van Gaal. Mit dieser Mündigkeit ging aber auch das Versprechen zu vollster Loyalität abseits des Platzes und durchgehender Disziplin auf dem Platz einher. Des Weiteren gab es trotz der Mündigkeit nur eine „richtige“ Meinung: Die des Trainers.

Im Idealfall gibt es in der Mannschaft also eine flache Hierarchie, aber in der Hierarchie des gesamten Vereins unter dem Trainer stand. Die Mannschaft treibt sich selbst zu Höchstleistungen an (sowohl Ferguson als auch Heynckes sprachen in den Achtzigern von kollektiver Selbstdisziplin). Im heutigen Fußball ist eine solche Mündigkeit und Hierarchienverteilung selbstverständlich.

In diese Zeit passt Jupp Heynckes optimal  hinein. Bei Bayer Leverkusen konnte er dies beweisen: Spieler wie Toni Kroos benötigen die Mischung aus einem sachlichen sowie „erfolgsgeilen“ Fußballlehrer, einem Jugendförderer und einem Trainer, der als Gegenleistung zur nötigen Disziplin den gewissen Grad Freiheit zulässt und Leistungsschwankungen duldet.

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Spieler wie Arturo Vidal waren ebenfalls ideal für Heynckes. Louis Van Gaal sagte einst, dass Andrés Iniesta der ideale van-Gaal-Fußballer sei – ähnliches könnte auch für Jupp Heynckes und Arturo Vidal zutreffen. Der Chilene ist offensiv wie defensiv stark, dynamisch, laufstark, bissig und aggressiv, ohne dabei die offensive Komponente im Spiel missen zu lassen. Bei Bayer nahm er mit Kroos eine Schlüsselrolle ein.

Im 4-4-2-System agierten die Leverkusener mit einem eher geradlinigen und situativ diagonalen Rechtsaußen, Kroos als verkapptem Spielmacher von links und einem klassischen Zweiersturm. Mit Derdiyok und Kießling gab es zwei Spieler, die lange Bälle verarbeiten und sich an Kurzpasskombinationen beteiligen können. Vidal machte aus diesem 4-4-2 in der Offensive ein 4-1-3-2, in welchem der Linksverteidiger mit Kroos die Seite überlud.

Dieses situative Überladen, schnelle Schnittstellenkombinationen und das hervorragende Bespielen von gegnerischen Bewegungen durch zurückfallende Mittelstürmer, hineinstoßende Flügel oder den aufrückenden Vidal sorgten gar dafür, dass die Leverkusener lange Zeit auf Platz Eins der Tabelle standen. Durch eine konstante Vier-Mann-Absicherung standen sie defensiv gut, zusätzlich waren sie in beiden Heynckes-Saisons die torgefährlichste Mannschaft nach Standardsituationen in der ganzen Liga.

In der Folgesaison fiel man zwar nach dem Kroos-Abgang ab, konnte aber dennoch Fünfter werden. Zu jener Zeit findet man auch bei 44quadrat.net eine interessante Analyse, die Heynckes‘ Mannschaft beschreibt.

Die typischen Heynckes-Merkmale zeigten sich bei Leverkusen ebenso wie seine Veränderungen als Trainer: Eine gute Gegneranpassung, eine angemessene Reaktion an veränderte Spielumstände, das seit den 90ern praktizierte tiefere Pressing und eine eher positionsorientierte, aber dennoch bewegliche Raumdeckung mit einzelnen Manndeckungsaspekten.

Nach dem Abgang von Louis Van Gaal bei den Bayern war Heynckes‘ Zeit gekommen. Uli Hoeneß holte seinen „besten Freund“ zurück und korrigierte seinen größten Fehler.

Jupp Heynckes und seine Rekordbayern

Schon in der ersten Saison schien es wie die perfekte Paarung im deutschen Fußball. Heynckes beerbte Louis Van Gaal und die Spieler hatten endlich wieder einen Kumpeltyp, anstatt eines Fußballehrers. Wie unpassend dieser Satz klingt, nicht wahr?

Zu Beginn schienen die Bayern der Konkurrenz zu enteilen. Mit schnellem und fluidem Fußball hatten sie früh viel Vorsprung auf die Dortmunder und auch in der Champions League konnten sie sich bis ins Finale spielen. Die Betonung liegt dabei auf „spielen“. Jupp Heynckes tat viel mehr, als nur eine gute Mannschaft von Louis Van Gaal zu übernehmen und dessen Fehler zu beheben. Es war eine Wechselwirkung zwischen den zwei Trainern, wie sie es in der Fußballgeschichte wohl nur selten gab.

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Louis Van Gaal hatte das getan, woran Klinsmann scheiterte: Alte Zöpfe wurden abgeschnitten, eine neue Spielphilosophie wurde installiert und der Nachwuchsgeneration eine Chance gegeben. Davon profitierte Heynckes, wie von anderen, taktischen Aspekten. Aber Heynckes kultivierte diese Spielweise nicht nur, sondern ergänzte sie.

Der Ballbesitz nahm – für sehr viele unerwartet – nach der letzten Saison unter Van Gaal nicht ab, sondern weiter zu. Das Positionsspiel wurde – typisch Heynckes – fluide und mit leichten Asymmetrien ausgelegt. Defensiv wurde das Pressing angepasst. Dennoch blieben Heynckes nach der Verletzung Schweinsteigers und dem Wegbrechen des fluiden Aufbauspiels nur drei Vizetitel, woraufhin die Bayern investierten. Dieses Mal waren es drei Transfers, an denen Heynckes mitwirkte und die ebenfalls zu seinem Profil passen.

Mit Javi Martínez kam ein Baske und ein Spieler, der ebenso wie Arturo Vidal die idealen Attribute eines Heynckes-Fußballers in sich vereinigt(wenn auch in anderer Ausführung und anderer Position bzw. Rollenverteilung). Auch Dante und Mandzukic entsprechen den Vorstellungen Heynckes: Diszipliniert, bissig, aber dennoch technisch gut und durchaus für einen Spaß zu haben.

Dank dieser Verpflichtungen dürfte die aktuelle Bayern-Mannschaft wohl die ideale Heynckes-Elf sein. Die Stars der Mannschaft ordnen sich dem Kollektiv völlig unter, genießen aber auch deswegen bestimmte Freiheiten – Ribérys herausragende Defensivarbeit und gleichzeitig sein erlaubtes situatives Zocken, bei dem Mandzukic seine Position übernimmt, verbinden zwei eigentliche Paradoxe miteinander und schaffen eine Win-Win-Situation.

Auch im Aufbauspiel wurde die Fluidität teilweise extrem gespielt. Gegen Lille gab es immer wieder Franck Ribéry als Spielgestalter in der Mitte. Dessen Zurückfallen wurde mit einem raumöffnenden Verschiebemechanismus versehen, um die Effektivität zu steigern. Die Kür dürfte Jupp Heynckes aber beim herausragenden Pressing der Münchner in dieser Saison gelungen sein.

Hier verband er ebenfalls typische, frühere taktische Mittel mit der Moderne. Gegen Juventus pressten sie beispielsweise in einem 4-3-3, um die gegnerische Abwehrkette zu bespielen. Andrea Pirlo wurde dabei von Toni Kroos bzw. nach dessen Verletzung Thomas Müller in Manndeckung genommen, um den Wirkungskreis des Spielmachers auszuschalten. Gegen Barcelona wurde im Hinspiel dann mit einem 4-4-2-0 gepresst, um die Überzahl der Katalanen in der Mitte mit ihren drei herausragenden zentralen Akteuren und dem zurückfallenden Messi zu neutralisieren.

Auch das Gegenpressing war in dieser Saison aller Ehren wert. Die Plagiatsvorwürfe Jürgen Klopps diesbezüglich sorgten aber für selten gesehenen Ärger bei Heynckes:

„Sie haben von mir noch nie gesehen, dass ich in irgendeiner Pressekonferenz negativ über eine andere Mannschaft oder kritisch über den Kollegen gesprochen habe.“  – Jupp Heynckes in der FAZ, 1. März 2013

Worauf genau Klopp abzielte, ist nicht klar. Fakt ist aber, dass Heynckes schon in den frühen 80ern das Prinzip des Gegenpressings spielen ließ – deshalb seine Aufregung. Das Gegenpressing selbst wurde von der niederländischen Nationalmannschaft und Ajax in den 70ern praktiziert, u.a. auch in Ansätzen von Feyenoord jener Zeit, die bekanntlich Ernst Happel als Trainer hatten – der sich mit Heynckes einige Duelle in der Bundesliga lieferte. Das „moderne“ Gegenpressing ließ letztlich zuerst Pep Guardiola in seiner kollektiven Variante spielen, ebenfalls vor Jürgen Klopp.

Fazit und Vermächtnis

Bayern - Grundformation2012

Noch weiß man nicht, ob Heynckes Ende dieser Saison seine Karriere beenden wird, obgleich die meisten Medien und Insider davon ausgehen. Angeblich soll es aber Angebote von überall geben; selbst Real Madrid scheint Interesse zu bekunden. Sollte Heynckes seine Karriere beenden(obwohl es beim DFB vielleicht nach 2014 einen schönen Job für ihn gäbe)geht ein großer deutscher Trainer und Fußballdenker.

Heynckes kritisierte in den 90ern die Abwehrspieler wegen ihres Spielaufbaus und zweifelte ihre Qualität deswegen an. Selbst heutzutage würde man dafür zumindest in einigen Teilen der Fußball- und Medienlandschaft kritische Blicke ernten. Er war auch einer der Vorreiter der modernen Trainingsmethodik in Deutschland, ein Vertreter des ganzheitlichen Prinzips und des „interkulturellen Dialogs“ – einem Umgang der Spieler miteinander, nicht nur über die Barrieren der Sprache und Kultur hinweg, sondern auch der Arbeitszeit.

Viele seiner als verschroben geltenden Ideen sind heute Standard. Geplante oder wechselnde Sitzordnungen im Fußball, gemeinsames Essen oder die gemeinsame Beschäftigung mit fußballirrelevanten Themen wurden kritisch beäugt, setzten sich aber durch. Das Einfordern von  Disziplin, das präzise Verbessern individualtaktischer Mängel auch auf höchstem Niveau und die Differenzierung in der Betrachtung sind heute so selbstverständlich, dass die Kritik an Heynckes zu jener Zeit fast lächerlich wirkt.

Mit welchen Problemen sich Heynckes in der damaligen Zeit herumzuschlagen hatte, ist heute kaum mehr zu begreifen. In den 80ern soll er gar mit Otto Rehhagel und Udo Lattek einer der wenigen Trainer gewesen sein, der verletzte Spieler nicht fitspritzen und spielen ließ. Passend dazu sah er die Rotation der Lauterer bei ihrem Titelgewinn 1991 ebenfalls als Vorteil und als ursächlich für den Meistertitel an.

„Wenn die elf Stars permanent strapaziert werden, spielen sie ja nicht mehr top. Dann ist der Kopf leer und der Körper müde. Das ist für mich eine ganz logische Schlußfolgerung.“ – Jupp Heynckes im Spiegel, 27. März 1991

Zusätzlich war er in seiner analytischen Betrachtung von Fußballern und Mannschaften ebenfalls Vorreiter – sogar heute noch. So führte er taktische Aspekte wie Fouls auch auf körperliche und geistige Müdigkeit zurück, unterschied den „Star“ vom „Führungsspieler“, der die Mannschaft befruchtet und nicht knechtet, und lobte 1990 wie schon Arrigo Sacchi die Kolumbianer für ihre Taktik, während alle Welt noch Deutschland zujubelte.

Ohnehin scheint ihn mit Sacchi eine gewisse geistige Ähnlichkeit zu verbinden. Der Italiener lobte die aktuellen Bayern auch als „totalen Fußball“, bei dem jeder alles kann, das Spiel versteht und kollektiv verteidigt wird. Heynckes selbst sah sich ebenfalls als einen Trainertypen wie Sacchi und gar als potenziellen Revolutionär:

„HEYNCKES: Die jungen Trainer haben doch keine Chance mehr. Wenn ich Präsident wäre, dann wären bei so manchem Klub statt des Trainers ein oder zwei Spieler entlassen worden. Die Präsidenten haben doch keine Zivilcourage. Wenn ich höre, daß sich die Dortmunder Spieler ihren neuen Trainer selbst aussuchen wollen, habe ich dafür keinerlei Verständnis. So ist schon vielen jungen und guten Trainern das Rückgrat gebrochen worden.

SPIEGEL: Aber etablierte Trainer wie Sie könnten doch Innovationen anbieten?

HEYNCKES: AC Mailands Trainer Arrigo Sacchi ist für mich der einzige, der in den letzten Jahren im Weltfußball wirklich eine neue Spielstrategie entwickelt hat – er konnte es, weil er mit den drei Holländern die entsprechenden Spieler zur Verfügung hatte. Ich hätte auch gerne was Neues, etwas Revolutionierendes gemacht, mit einem Stefan Reuter auf der Liberoposition hätte ich auch unser Spiel ganz neu interpretieren können.

SPIEGEL: Was hat Sie denn gehindert?

HEYNCKES: Bei den Bayern spielt Klaus Augenthaler seit neun Jahren den typischen Libero hinter der Abwehrkette. Ich habe ganz andere Vorstellungen. Aber dafür muß man vier sehr schnelle Abwehrspieler haben.“ – Interview im Spiegel, 27. März 1991

In Anbetracht des, zugegeben von mir selbst geschriebenen, Artikels kann ich doch mit ruhendem Gewissen die Eingangsfrage beantworten:

„Du hältst Jupp Heynckes wirklich für einen der besten Trainer?“ – Ja, das tue ich. Ganz unabhängig davon, ob er die Champions League gegen den BVB gewinnt, oder nicht.

Hansi Flick – Was ist das? – FN

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Nach der doch etwas kuriosen Entlassung und dem vorausgegangenen Rücktritt vom Rücktritt verließ Vereinslegende Xavi in diesem Sommer letztlich seinen Herzensklub Barcelona. Die Wahl des Nachfolgers fiel auf den zuletzt vereinslosen ehemaligen Bundestrainer Hansi Flick. In Katalonien steht er trotz des historischen Sextuple-Gewinns mit den Bayern vor der vielleicht größten Aufgabe seiner Trainerkarriere: Trotz großer finanzieller Probleme eine neue Ära beim spanischen Giganten einzuleiten.

Nach fünf Siegen aus den ersten fünf Ligapartien und Platz eins in der Tabelle scheint es, als würde sich Flick als absoluter Glücksfall für Barcelona entpuppen. Doch wie lässt Flick spielen und wie vereint er seinen vertikaler Hochintensitätsfußball mit dem katalanischen Tiki-Taka?

Vertikal ins letzte Drittel

Wie bereits erwähnt, legt Flick großen Wert auf Vertikalität im Spielaufbau und priorisiert den geordneten Aufbau nicht um jeden Preis. Eines der Grundprinzipien von Flicks Aufbauspiel ist es deshalb, so wenige Spieler wie nötig in den tiefen Spielaufbau zu involvieren, um durch hohe Positionierungen eine starke Gegnerbindung zu erreichen und bei schnellem Spiel in die Spitze Überzahl zu schaffen.

Im tiefen Spielaufbau wird aus einem 4-1-2-3 heraus aufgebaut. Durch die breite Positionierung der Innenverteidiger und das proaktive Spiel des Torhüters, der als zusätzliche Anspielstation in der ersten Linie dient und eine +1-Überzahl gegen mannorientiertes Pressing erzeugt, wird die Formation gestärkt. Die beiden Außenverteidiger schieben in der Breite in die zweite, teils sogar in die dritte Linie und sorgen dort für Gegnerbindung. Dadurch entsteht eine Raute im Zentrum des Spielaufbaus mit dem ballführenden Torhüter und dem als Anker agierenden Sechser an der Spitze.

Die durch das Hochschieben der Achter, das Einrücken der Außenspieler und das Breitenstellen der Außenverteidiger in der zweiten Linie erzeugte Gegnerbindung hat zur Folge, dass Gegner sich für ein raumorientiertes Pressing entscheiden. Folglich wird nur noch mit zwei Spielern in der ersten Linie angelaufen, was es Barcelona ermöglicht, durch Rautenbildung ein 4-gegen-2 auszuspielen.

aus der 5. Minute im Spiel Barcelona – Bilbao

Sollte der Gegner weiterhin einen mannorientierten Pressingansatz wählen, wird versucht, durch leicht versetztes Abkippen des linken Achters neben den Sechser und leichtes Abkippen des ballnahen Außenverteidigers das Angriffspressing zu überwinden. Die Rolle dieses linken Achters hatte zumeist Pedri inne. Er dient als zusätzliche Klatsch-Option im Zentrum mit dem Ziel, den freien Mann hinter dem Pressing zu finden und sich aus dem Druck zu lösen. Dadurch entsteht eine 2-gegen-1-Situation des empfangenden Innenverteidigers und des ballnahen Außenverteidigers.

aus der 27. Minute im Spiel Barcelona – Valladolid

Dennoch wird das gegnerische Angriffspressing nach vorausgehendem Locken des Pressings häufig auch sehr direkt mit gezielten langen Bällen in die letzte Linie überspielt. Durch einrückende Außenspieler und nachrückende Achter rund um den als Fixpunkt agierenden Lewandowski werden kurze Abstände zwischen den Spielern erzeugt, um nach Ballverlust direkt ins Gegenpressing zu kommen und durch hohe Ballgewinne möglichst viel Raum zu überbrücken und, wenn möglich, direkt mit Zug zum Tor umzuschalten.

fluides Angriffsspiel

Sobald Barcelona den eigenen Spielaufbau überbrückt hat und ins Angriffsspiel übergeht, legt Flick großen Wert auf Bewegungen und Positionsrotationen mit vielen Freiheiten für den Einzelnen im Gegensatz zum strikten Positionsspiel unter Ex-Trainer Xavi.

Häufig wird versucht, das Zentrum durch einrückende Außenspieler zusätzlich zu den sich im Zwischenlinienraum befindenden Achtern zu überladen. Die Außenverteidiger, speziell Balde auf der linken Seite, der immer wieder den Raum auf der Außenbahn aus der Tiefe beläuft und für gefährliche Hereingaben sorgen kann, agieren infolgedessen als Breitengeber in der letzten Linie. Die Rolle des Rechtsverteidigers, im Normalfall von Koundé bekleidet, wird etwas konservativer interpretiert. Ein Hauptgrund dafür ist, dass Yamal auf der rechten Seite nicht konstant im Halbraum agiert und auch häufiger die Breite hält, um seine Stärken im 1-gegen-1 auf dem Flügel auszuspielen und anschließend vom Flügel nach innen zu ziehen. Durch das Vorderlaufen des rechten Achters sowie von Koundé aus der tiefen rechten Halbspur und das Zusammenziehen des gegnerischen Blocks kann Yamal so immer wieder in 1-gegen-1-Situationen isoliert werden. Durch diese etwas konservativere Positionierung Koundés wird ein asymmetrischer 3+1-Aufbau mit sechs Spielern in der letzten Linie erzeugt, der für eine hohe Gegnerbindung sorgt. Koundé füllt in diesem Szenario auch gerne in der zweiten Linie auf, um das Zentrum weiter zu überladen.

aus der 14. Minute im Spiel Barcelona – Bilbao

Doch wie bespielt Barca dieses Cluster an Spielern im Zentrum? Die spielstarken Innenverteidiger suchen stets den Weg nach vorne und versuchen durch vertikale Laserpässe in den Zwischenraum, die erste Pressinglinie zu durchbrechen. Durch eine sehr hohe Fluidität in den Positionen und viele Gegenbewegungen, wie von Pedri, der gerne neben den Sechser als zusätzliche Anspielstation in der zweiten Linie, aber auch außerhalb des Blocks abkippt und so Räume für Mitspieler freizieht, werden Räume geöffnet. Eine weitere Schlüsselrolle kommt hier dem vom linken Flügel einrückenden Raphinha zu. Er taucht nahezu überall im Zentrum auf und agiert in einer Art Schattenstürmerrolle. Durch geschickte Gegenbewegungen des Duos Raphinha-Lewandowski kann der gegnerische Block vertikal auseinandergezogen und der Zwischenraum bespielt werden. Durch diese Tiefenläufe bietet sich für die Innenverteidiger auch immer wieder die Möglichkeit, einen Chipball über den gegnerischen Block zu spielen, um direkt vertikal in die Spitze zu spielen. Dieses Muster erkannte man bereits beim 7:0-Sieg gegen Real Valladolid bei den Toren zum 1:0 und 2:0.

Das Tor zum 1:0 aus der 20. Minute im Spiel Barcelona – Valladolid

Nachdem der Zwischenraum bespielt wurde, wird versucht, durch die kurzen Abstände zwischen den einzelnen Spielern in diesem Cluster mit schnellen Kombinationen die eigene technische Überlegenheit auszuspielen. Ein wichtiger Teil davon ist das Prinzip „toco y me voy“ aus dem Relationsspiel, auch bekannt als „Spiel und Geh“. Durch die ständigen neuen Positionierungen und das Ablagespiel abkippender Spieler kann dies in engen Räumen eine Waffe sein. Flick bedient sich hier im Zentrum mehrerer Elemente aus dem durch Fernando Diniz geprägten Relationsspiel, auch wenn nicht so stark ballseitig verschoben wird und die Überladungen hauptsächlich im Zentrum erfolgen. Gepaart werden diese Freiheiten im Angriffsspiel mit festen strukturgebenden Abläufen aus dem Positionsspiel.

In der nachfolgenden Szene aus dem Spiel gegen Valladolid kann sich Olmo durch einen linienbrechenden Pass der Innenverteidiger unter Druck aufdrehen. Durch das Nachrücken von Raphinha und Pedri sowie das Ablagespiel Lewandowskis werden enge Abstände hergestellt und das Kombinationsspiel auf engem Raum gefördert. Von dort aus wird sehr direkt Richtung Tor gespielt.

Flick-typisches Angriffspressing

Wie für Hansi Flick schon zu Bayern-Zeiten typisch, setzt er auch bei Barcelona auf ein enorm aggressives mannorientiertes Angriffspressing mit klaren Pressingfallen. Charakteristisch für Flicks Spiel gegen den Ball ist vor allem die hohe Intensität gegen den Ball und die Höhe des Pressings.

Trotz des mannorientierten Anlaufens liegt stets der Fokus auf einer +1-Überzahl in der letzten Linie. Folglich wird in einer -1-Unterzahl im Angriffsdrittel agiert. Nach gegnerischen Abstößen ist das Ziel Barcelonas, von außen nach innen zu pressen und so das Spiel in das durch Mannorientierungen im Mittelfeld und die enge Positionierung geschlossene Zentrum zu lenken oder lange Bälle in die eigene Überzahl in der letzten Linie zu erzwingen. Lewandowski agiert im Angriffspressing mannorientiert zum gegnerischen Sechser. Die beiden Achter agieren ebenfalls mannorientiert zu den anderen beiden Mittelfeldspielern des Gegners. Durch Lewandowskis zurückgezogene Rolle wird eine Überzahl im Zentrum hergestellt, und Barcelonas Sechser kann zwischen letzter Linie und Mittelfeld schwimmen und je nach Spielsituation im jeweiligen Mannschaftsteil für Überzahl sorgen, aber auch abkippende Angreifer zwischen den Linien aufnehmen.

In erster Linie wird vorerst nur mit den beiden Außenstürmern gepresst. Diese pressen vorerst im Raum zwischen den Innen- und Außenverteidigern, um das Spiel in die Breite zu unterbinden. Der Linksaußen agiert hierbei deutlich aggressiver als der Rechtsaußen Yamal, der nur in seltensten Fällen auf den Innenverteidiger springt. Der Linksaußen presst bei Ballbesitz des rechten Innenverteidigers aggressiv durch den Ballführenden und zwingt diesen zum Rückpass zum Torhüter. Von dort wird weiter durchgeschoben und Druck auf den Torhüter ausgeübt, was zu einem langen Ball in die Überzahl in der letzten Linie führt.

aus der 13. Minute im Spiel Barcelona – Bilbao

Durch dieses Druchschieben des Linksaußen entstehen große Räume für den Rechtsverteidiger des Gegners, welcher durch Chipbälle des Torhüters oder Seitenwechsel bespielt werden kann. Abgesichert wird dieses Anlaufen durch den linken Außenverteidiger, der erst auf Höhe der Mittelfeldlinie im Raum positioniert ist und bereit ist, auf den Außenverteidiger zu springen, sobald der Linksaußen auf den Torhüter durchschiebt oder durch einen gechippten Pass auf den Außenverteidiger ausgelöst wird. Der rechte Verteidiger hingegen ist in der letzten Linie zurückgezogen, um dort die +1-Überzahl herzustellen, und springt nur in den seltensten Fällen auf den gegnerischen Außenverteidiger. Der Rechtsaußen hat somit eine Doppelverantwortung und muss durch geschickte Positionierung den Außenverteidiger in den Deckungsschatten nehmen, darf aber gleichzeitig den Abstand zum Innenverteidiger nicht zu groß werden lassen, um ein Zuspiel auf diesen zu verhindern und so das Angriffspressing aufrechtzuerhalten und die Überzahl in der letzten Linie zu kompensieren.

Ein weiteres Schlüsselelement Flicks Ansatz gegen den Ball ist das Gegenpressing. Dieses wird durch die im Abschnitt „fluides Angriffsspiel“ bereits thematisierten engen Abstände im eigenen Ballbesitz gefördert. Nach Ballverlust wird sofort mit hoher Intensität defensiv umgeschalten und sowohl von den Offensivspielern rückwärts gepresst als auch von den Spielern hinter dem Ball aggressiv nach vorne verteidigt. Durch dieses intensive Gegenpressing ist es Barcelona möglich den Ball in den eigenen Reihen zu halten, sich in der gegnerischen Hälfte festzusetzen und nach hohem Ballgewinn sofort wieder in ihr Kombinationsspiel auf engem Raum zu kommen.

Potenzielle Probleme unter Flick

Doch Hansi Flicks Barcelona ist keinesfalls fehlerlos. Durch den starken Zentrumsfokus im Pressing besteht, gerade durch das zögerliche Rausschiebeverhalten des Rechtsverteidigers, die Möglichkeit, dass Gegner das Pressing provozieren, den Rechtsaußen locken und durch gezielte Chipbälle hinter den Rechtsaußen den offenen Raum mit dem eigenen Linksverteidiger bespielen. Durch das Überladen dieser Seite können Anspielstationen geschaffen werden, und es ist möglich, sich aus dem katalanischen Angriffspressing zu lösen.

Eine weitere Möglichkeit wäre, beide Außenverteidiger hochzuschieben, um so den Flügel doppelt zu besetzen und eine 2-gegen-1-Situation auf der Außenbahn zu erzeugen. Durch den anderen Außenverteidiger kann ballfern für Gegnerbindung gesorgt und eine Überzahl Barcelonas in der letzten Linie vermieden werden. Ziel ist es dann, diese Überzahl auf dem Flügel durch lange Bälle auf die Außenbahn auszunutzen, um Kontrolle über das Spiel zu erlangen oder über zweite Bälle direkt vertikal in die Spitze zu spielen.

Auch die zu Bayern-Zeiten Dauerthema gewesene riskante Restverteidigung Flicks könnte im Laufe der Saison wieder zum Thema werden. Im Gegensatz zu vielen Teams, die heutzutage aufgrund der hohen Kompaktheit nach Ballverlust das Spiel mit fünf Spielern aus einem 3-2- oder 2-3-Aufbau eröffnen, baut Barcelona aufgrund der bereits erklärten zentralen Überladungen nur mit vier Spielern auf. Hinzu kommt das Vorderlaufen des Rechtsverteidigers aus der Tiefe, was für noch weniger Absicherung sorgt.Durch die hohe Positionsfluidität kann es außerdem passieren, dass zu viele Rotationen ohne das richtige Timing gleichzeitig stattfinden und dadurch gefährlich große Lücken nach Ballverlust entstehen.

Fazit

Mit der Verpflichtung von Hansi Flick scheint es, als hätte der FC Barcelona den richtigen Trainer zur richtigen Zeit gefunden. Flick zeigt bereits in den ersten Spielen große Veränderungen im Vergleich zu seinem Vorgänger Xavi, gerade die hohe Fluidität und die vielen Rotationen mit dem Ball unterscheiden sich deutlich von Xavis striktem Positionsspiel. Auch gegen den Ball sind Veränderungen in der Art des Pressings, aber auch in der Intensität bemerkbar.

Neben seinem hochintensiven Pressingfußball bringt Hansi Flick bei seiner neuen Station auch einige hochspannende neue Elemente aus dem Relationsspiel mit ein und kombiniert diese Ideen im Angriffsspiel mit klassischen Breitengebern und festen Abläufen aus dem Positionsspiel.

Dennoch läuft, auch wenn es im Moment so scheint, noch nicht alles fehlerfrei, speziell im Pressing und in der Restverteidigung.Es bleibt abzuwarten, wie schnell die Konkurrenz in Spanien diese Schwächen auszunutzen weiß und wie darauf reagiert wird.Hansi Flick beim FC Barcelona ist nichtsdestotrotz ein hochspannendes Projekt im europäischen Fußball, das man definitiv im Auge behalten sollte.

Autor: FN beschäftigt sich mit intensiv mit Taktiktheorie als auch Analysen zu aktuellen Spielen und Entwicklungen im Fußball. Auf Twitter ist er als @felixnb aktiv.

In-Depth Analyse: Horst Steffen´s Ballbesitzspiel bei der SV Elversberg – ND

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Nach nunmehr 7 Jahren und 257 Spielen bei der SV Elversberg zieht es Horst Steffen zu einem der prestigeträchtigsten Bundesligisten an die Weser. Die SVE führte er aus den Tiefen der Regionalliga bis in die Relegation zur ersten Bundesliga, wo sie auf denkbar tragische und unglückliche Weise am FC Heidenheim scheiterte. Doch über den sportlichen Erfolg hinaus etablierte Steffen im beschaulichen Elversberg eine Spielphilosophie, die deutschlandweit, ja sogar weltweit ihresgleichen sucht. Doch was macht diesen Stil eigentlich so besonders und worauf dürfen sich die Werder Fans freuen?

Steil Klatsch/Spiel über den Dritten

Diese Variation kommt unteranderem zum tragen wenn der Torwart im Pressing aktiv angelaufen wird, wodurch ein anderer Spieler frei wird  und über den Dritten gefunden werden kann:

FC Heideheim gg ELV 3te Minute

In dieser Situation läuft Rohrs direkter Gegenspieler den Torwart in einer bogenförmig an. Rohr erkennt dies frühzeitig, positioniert sich im freien Raum und schafft damit maximale Distanz zu seinem Gegenspieler. Gleichzeitig stellt er sich so auf, dass er dem entgegenkommenden Fellhauer einen breiten Passkorridor öffnet, über den dieser ihn sauber anspielen kann.

Das Entgegenkommen von Fellhauer ist in dieser Szene elementar, weil es die Wahrscheinlichkeit eines direkten Ballverlusts deutlich reduziert, da durch den Entscheidungsvorteil ein Dynamikvorteil für Fellhauer entsteht und so der Gegnerspieler nicht optimal in den Zweikampf kommt. Gleichzeitig öffnet sich durch das Herausziehen des Gegenspielers ein großer Raum im Mittelfeld. Dieser kann entweder durch das eindribbeln des IVs oder wie in dieser Szene durch das Entgegenkommen eines Stürmers bespielt werden.

Asllani kommt entgegen, lässt den Ball mit einem Kontakt auf Baum klatschen. Baum spielt diagonal ins Zentrum auf Damar, der den durch Asllani geöffneten Raum beläuft.

Gegner auf eine Seite locken => über 6er verlagern

ELV gg KSC 3te Minute

Kaum eine Spielsituation ist ein bekannterer Pressingauslöser als der Pass vom IV auf den AV, so auch in dieser Szene. Aus einer ursprünglichen 7gg4 Überzahl im Aufbau entsteht durch den Ball auf Neubauer ein 3gg3 auf dem Flügel. Da Neubauer direkt an der Seitenlinie positioniert ist, sind seine Anschlussoptionen stark eingeschränkt.

Doch unmittelbar nach dem Rohr den Pass abgibt, startet dieser einen vertikalen Lauf nach vorn und zwingt damit seinen Gegenspieler zu einer Entscheidung: Folgt dieser dem Lauf, kann Neubauer Kristof im Zentrum als Ankerspieler finden, der im Anschluss auf die ballferne Seite verlagern kann. Nimmt er den Lauf auf oder übt Druck auf den Ballführenden aus, so wird Rohr im Rücken mit offener Körperstellung anspielbar.

ELV gg KSC 3te Minute

Auch Sahin und Zimmerschied bleiben nicht statisch: Sahin startet tief auf den Flügel, während Zimmerschied vom Flügel ins Zentrum entgegenkommt. Diese gegenläufigen Bewegungen sorgen für Zuordnungsprobleme in der Karlsruher Defensive und gleichzeitig öffnet Sahin’s Lauf mehr Raum für Rohr.

Parallel verschiebt der ballferne Sechser aktiv zur Ballseite. Fellhauer rückt dabei auf Rohrs Höhe, sodass sie gemeinsam eine horizontale Linie ausbilden. Diese Linie wird schließlich durch ein kluges Durchlassen ausgespielt. Über Zimmerschied wird der Ball auf die ballferne Seite verlagert, wo Pinckert völlig frei an den Ball kommt. Er hat dort Zeit, den Ball mit offenem Fuß mitzunehmen und kann ungestört bis in die gegnerische Hälfte andribbeln.

Steil-Steil Kombinationen

Ein stilprägendes Element im Spiel der SV Elversberg sind sogenannte Steil-Steil-Kombinationen. Auch wenn man sie als Varianten des Spiels über den Dritten oder als Steil-Klatsch-Aktionen bezeichnen könnte, greifen diese Begriffe zu kurz denn sie sind meist mit einem Rückklatschen aus höherer Position assoziiert. Bei den Steil-Steil-Kombinationen der Elversberger hingegen wird nach einem vertikalen oder diagonalen Steilpass der Ball nicht zurückgespielt, sondern unmittelbar erneut steil weitergeleitet entweder in einen Zielraum oder zu einem dritten Spieler.

Typisch ist, dass der erste Passempfänger aus einer höheren Position dynamisch entgegenkommt. Dadurch entsteht ein Dynamikvorteil gegenüber seinem Gegenspieler, um so die Erfolgswahrscheinlichkeit zu maximieren. Der erste Pass selbst wird scharf in den Hinterfuß gespielt, mit dem ersten Kontakt wird der Ball meist mit der vorderen Innenseite leicht über den eigenen Standfuß gechippt.

Die Kombination ist durch ihre inhärente (doppelte) Diagonalität besonders spannend: Die erste Diagonalität liegt oft im Zuspiel auf den  entgegenkommenden Spieler, die zweite im direkten Weiterleiten des Balls ebenfalls diagonal, antiparallel zum Verschiebeverhalten des gegnerischen Blocks in eine neue Spur

FCK gg ELV

In dieser Szene dribbelt Le Joncour aus der Halbspur diagonal auf den Flügel. Diese Bewegung und der anschließende diagonale Pass auf Zimmerschied sorgen dafür, dass die gegnerische Defensive kollektiv auf ihre rechte Seite verschiebt. Zimmerschieds steiler Klatschpass verläuft jedoch antiparallel zur Verschieberichtung, wodurch das gegnerische Momentum gebrochen wird.

Doch genau dieser Momentumbruch betrifft auch die eigene Mannschaft, wenn das Timing und die kollektive Vorbereitung auf die Anschlussaktion fehlen. So wie in dieser Szene bei Asllani: Auch seine Verschieberichtung wird vom Pass antiparallel geschnitten, er ist dadurch nicht im optimalen Bewegungsfluss, um den Ball aufzunehmen. Aufgrund der tieferen Postion von seinem Gegenspieler, kann dieser den Ball vor Asllani erlaufen.

Diese Szene verdeutlicht: Der antiparallele Klatschpass ist ein wirkungsvolles Mittel, um defensive Dynamiken zu brechen erfordert aber präzise Abstimmung und antizipierende Mitspieler, damit der Vorteil ausgespielt werden kann. Da der Pass häufig aufgrund der Natur des 1-Kontaktspiels nicht immer perfekten den Fuß des Mitspielers errreicht

Enge Staffelung der 6er

Die enge 6er-Staffelung gehört zu den zentralen Strukturprinzipien im Spiel der SV Elversberg.
Durch eine bewusst kompakte Positionierung der beiden Sechser im Zentrum schafft das Team gezielte das Öffnungen von Zielräumen in den Halbspuren:

Die Zielräume können auf verschiedene Arten bespielt werden:

Abkippen vom Flügel => Steil Steil ins Zentrum:

FC Heideheim gg ELV 24te Minute

Zimmerschied kommt vom Flügel aus in die Halbspur entgegen und wird von Kristof scharf in den hinteren Fuß angespielt. Mit dem ersten Kontakt chippt er den Ball diagonal ins Zentrum über das eigene Standbein hinweg mit dem Innenspann. Diese Technik erschwert es seinem direkten Gegenspieler erheblich, den Ball zu antizipieren oder zu klären. Die Steil-Steil-Kombination mit einem gechippten First-Touch-Pass diagonal ins Zentrum ist ein wiederkehrendes Muster im Spiel der Elversberger besonders Zimmerschied sucht solche Aktionen regelmäßig.

Aufgrund der doppelten Diagonalität und des Wissens der eigenen Mannschaft, was passiert ist diese Spielweise für Gegner schwer zu verteidigen. In dieser Szene ist es beispielsweise Sahin, der ob des Wissens, dass Zimmerschied den Ball ins Zentrum spielen wird. Daher eine kurze Auftaktbewegung, Richtung eigenes Tor macht, danach aber sofort den Lauf nach vorne startet und so seinen direkten Gegenspieler abhängt. Wodurch sie eine lokale Überzahl in der Zone schaffen, die Zimmerschied anspielt

Allerdings verpufft die daraus entstehende Angriffssituation, da der folgende Ball in den Lauf von Sahin von Petkov nicht mit dem Fuß, sondern unpräzise per Kopf gespielt wird. Trotz Zeit und Raum aufgrund des fehlende Gegnerdrucks entscheidet sich der Petkov für die etwas schnellere, aber deutlich riskantere Option.

Abkippen aus dem Zentrum=> diagonales Leitspiel

FC Heideheim gg ELV 7te Minute

Damar kippt aus dem Zentrum in die Halbspur ab, der ballnahe Winger (Zimmerschied) bewegt sich in den Rücken von Damar, sodass sie eine diagonale Leiter bilden. Damar spielt einen Schattenpass zu Zimmerschied, sprich er verhält sich so als wenn er den Pass entgegen nehmen würde doch lässt ihn durch seine offenen Beine passieren. Der ballferne Stürmer bietet sich diagonal vor dem Passempfänger als Klatsch Option an und öffnet so ebenso den Raum im Zentrum in den Zimmerschied eindribbeln kann. Der ballferne Winger bewegt sich ins Zentrum, beläuft die Tiefe, umso besser anspielbar zu sein, um mehr Raum im Zentrum zuöffnen und auf dem Flügel für den nachstartenden AV zu öffnen. Einer der beiden 6er, der ballnahe AV und die beiden Innenverteidiger bilden die Restverteidigung

FC Heideheim gg ELV 7te Minute

Letztendlich schaffen sie es nach ein Spiel und Geh von Zimmerschied über Sahin zu einem 2gg2 auf dem Flügel mit Petkov und Baum, welches sie nicht optimal ausspielen, jedoch trotzdem zu einem Einwurf im letzten Drittel des Gegners kommen.

 

FC Nürnberg gg ELV 42te Minute

Erneut wird die Zielzone durch ein dynamisches Abkippen besetzt, Zimmerschied bietet sich in der Diagonalen an, Damar lässt den Ball passieren(Schattenpass). Erneut bewegt sich Asllani diagonal vor Zimmerschied als Klatsch Option und um das Zentrum zuöffnen, in diesen Raum kann Zimmerschied eindribbeln. Die Bewegungen der umliegenden Spieler gestaltet sich relative ähnlich zu der vorherigen Szene, bis auf die der beiden 6er, hier kommt der ballnahe(linke) 6er entgegen um so mehr Raum auf der Ballseite für Zimmerschied zu öffnen und der ballferne 6er schaltet sich in den Angriff ein.

Durch die enge Position des ballfernen Außens kann dieser gute in die Aktion eingreifen und zieht dabei auch noch denn AV des Gegners mit, wodurch der ballferne AV durch sein eingreifen eine Überzahl im Angriff herstellen kann, da diese Bewegung oft nicht aufgenommen wird

Durch die enge Positionierung des ballfernen Außens kann dieser aktiv in die Aktion eingreifen und dabei gleichzeitig den gegnerischen AV mitziehen, wodurch auf dem Flügel Raum für nachstoßenden RV geöffnet wird. Diese Bewegung sorgt oft, dafür das eine Überzahl im Angriff entsteht, da diese Bewegung oftmals nicht vom Außenstürmer aufgenommen wird. So auch in diesem Angriff, doch letztendlich schaffen es die Elversberger nicht die 5gg4 Situation bis zum Abschluss auszuspielen.

 

Die diagonalen Leitern können nicht ausschließlich über Hacken- oder Schattenpässe ausgespielt, sondern lassen sich ebenso durch ein Aufdrehen oder Eindribbeln ins Zentrum bespielen. Besonders dann, wenn der Gegner auf die typischen Abläufe vorbereitet ist und gezielt den Rücken des abkippenden Spielers verteidigt, kann das Aufdrehen zur wirkungsvolleren Option werden.

Das Öffnen der zentralen Räume ist dabei essenziell: Dies gelingt zum einen durch das Abkippen des ballnahen 6ers (z. B. in der Szene gegen Nürnberg), oder das Hochschieben von ihm (wie etwa gegen Heidenheim) zum anderen durch die ballseitige Bewegung des Stürmers, der sich leicht höher positioniert.

ELV gg FCH 3te Minute

Diese Variabilität im Ausspielen der diagonalen Leiter erschwert es der verteidigenden Mannschaft erheblich. Der verteidigende Spieler steht vor einem Dilemma: Entweder er verteidigt so,dass  das Zentrum geschlossen ist und ein mögliches Aufdrehen zu unterbinden, oder er orientiert sich daran den Hacken- /Schattenpass zu verteidigen. Diese beiden Optionen gleichzeitig zu kontrollieren ist jedoch kaum möglich, zum einen aufgrund des Dynamikvorteils des abkippenden Spielers zum anderen, da sie unterschiedliche Körperschwerpunkte und Reaktionsmuster erfordern.

Das Leiter Aufbaumuster der Elversberger wird voralle in Richtung der linken Spielfeldseite, Diese Auffälligkeit lässt sich durch die Spielerprofile erklären: Mit Kristof steht ein Rechtsfuß im Tor, der diagonale Zuspiele nach links mit besserem Körperwinkel und klarerem Spielfeldblick ausführen kann. Diese Pässe erreichen so schneller und präziser die linke Seite, wo sich mit Zimmerschied ein weiterer taktischer Schlüsselspieler befindet. Als Rechtsfuß auf der linken Außenbahn kann er die Anschlussaktion nach dem Zuspiel optimal mit dem stärkeren Fuß vorbereiten und direkt ins Zentrum aufdrehen oder ein Dribbling starten. Auch die abkippenden Akteure wie Asllani oder Damar, ebenfalls Rechtsfüße, profitieren davon: Auch sie erhalten Zuspiele auf ihren dominanten Fuß, was ihnen ein präzises Weiterleiten, Aufdrehen oder das Einleiten von Kombinationen erleichtert. Diese strukturelle Linkslastigkeit ist zwar zufällig, aber eine logische Folge der technischen und fußspezifischen Voraussetzungen der Spieler.

Doch beim Abkippen aus dem Zentrum wird nicht nur auf das Leiterspiel zurückgegriffen. Auch klassische Steil-Klatsch- und Steil-Steil-Muster finden regelmäßig Anwendung, wobei Letztere auch auf die linke Seite fokussiert sind. Der Grund liegt erneut in den fußspezifischen Profilen: Spieler wie Damar oder Asllani, beide Rechtsfüße, können die leicht angechippten Bälle über ihr Standbein mit dem dominanten Fuß Diagonal in Zentrum weiterleiten.Diese technische Ausführung macht die Kombinationen nicht nur schwer zu verteidigen, sondern erschwert zugleich die kontrollierte Weiterverarbeitung der Pässe für die Mitspieler. Daraus ergibt sich ein hoher Anspruch an das technische Niveau der zentralen Akteure insbesondere im Ersten Kontakt, in engen Räumen und unter Gegnerdruck. Nur mit präziser Ballverarbeitung und klarem Timing können diese komplexen Abläufe auf einer stablien Basis ausgeführt werden und effektiv ins letzte Drittel getragen werden.

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Inside Diagonal ins Spinnennetz

Neben diesem Diagonalen aus den zentralen Räume spielt auch das diagonale Spiel von aussen nach innen eine sehr große Rolle, diese sogenannten „Inside Diagonals“, sind einer der Taktiktrends in dieser Saison, unteranderem häufig vom FC Barcelona. Dieser Begriff wurde unterem anderem Jamie Hamilton geprägt, dessen Detailanalyse über das diagonale Spiel sehr empfehlenswert ist: „the-diagonalist-manifesto

 

Grafik von Jamie Hamilton

Kaum ein Verteidigungsprinzip und Kommando ist Fußball bekannter als „Innen zu“, die erste Aufgabe ist es immer das Zentrum zusichern. Daher ist es so, dass man häufiger in einer Spielfeld offen und vorwärtsgerichtet Position den Ball auf dem Flügel erhält als im Zentrum, diese Position ist für das Diagonale Spiel essenziell. Jamie Hamilton auf die Frage, was Diagonalität für ihn so besonders macht (sinngemäß übersetzt):

„Gut getimte Diagonalität läuft gegen das Momentum der verschiebenden Verteidigung, das bedeutet, sie geraten aus dem Gleichgewicht und sind oft schlecht ausgerichtet, um den Ball zu stoppen.  Diagonale Pässe durchqueren mehrere horizontale und vertikale Achsen, wodurch mehr Angreifer entlang des Passverlaufs eingebunden werden können.                                                                                        Sie brauchen etwas länger als vertikale Pässe und erlauben so zeitliche Tiefe -> mehr Spieler können aktiv werden, ob für Ablagen, Weiterleitungen oder Bewegungen im Raum um den Ball. Zudem bietet ein diagonaler Pass dem Empfänger deutlich mehr Handlungsoptionen, er kann sich etwa leichter aufdrehen oder den Ball durchlassen, um einen Schattenpass ins Zentrum zu ermöglichen.“

In diesem Fall bildet ein Abstoß die Ausgangssituation:

FCK gg ELV 67te Minute

Die Elversberger eröffnen aus einem 5231 heraus. Kristof spielt Le Joncour an, der sofort ins Andribbeln übergeht. Zeitgleich bewegen sich die beiden ballnähsten Spieler (Neubauer und Sahin) vertikal nach vorne, um Le Joncour möglichst viel Raum und Zeit am Ball zu verschaffen. Die vorderen Spieler bewegen sich gegengleich zum Andribbeln sprich sie kippen etwas ab, wodurch Dynamik und eine Überladung der linken Spielfeldseite entsteht.

Spinnennetzstaffelung um Damar als Spinne im Zentrum

Damar positioniert sich für einen diagonalen Flachpass von Le Joncour im Halbraum, während Neubauer und Sahin sich so anbieten, dass sie direkt von Damar über ein Steil Klatsch gefunden werden könnten. Zimmerschied bewegt sich derweil in die Breite und ermöglicht so eine mögliche Steil Steil Kombination. Alle diese Optionen befinden sich in Damars 180° Sichtfeld, während sich Asllani diagonal in dessen Rücken anbietet, ideal für einen Schatten- oder Hackenpass in die Tiefe.

Le Joncour spielt anschließend eine Inside-Diagonal auf Damar, der den Ball per Hacke in seinen Rücken in Richtung Asllani weiterleitet. Entscheidend ist dabei die Synergie zwischen Damar und Asllani: Obwohl Damar in seinem Sichtfeld drei solide Optionen hat, entscheidet er sich instinktiv für das Weiterspielen in den Bewegungsbereich seines Mitspielers, er weiß zwar, dass Asllani da ist, aber nicht genau, wo er sich sich im Moment des Abspiels befindet.

Gerade diese intuitive Verbindung macht die Aktion für den Gegner so schwer zu lesen. Denn wo Passoptionen in der Regel auf Sicht und Sicherheit basieren, öffnet sich hier eine neue Dimension des Kombinationsspiels: getrieben vom gegenseitigen Vertrauen, einem tiefen Verständnis für Raum und Timing und einer Spielidee, die nicht immer kontrollierbar ist, sondern oft nur erahnbar.

Während Asllani den Ball erläuft, läuft Zimmerschied bewusst in seinen Rücken, anstatt wie üblich die Tiefe hinter die Abwehr zu attackieren. Diese unkonventionelle Bewegung ermöglicht Asllani einen Hackenpass gegen die Laufrichtung der Verteidiger und sorgt dafür, dass Zimmerschieds direkter Gegenspieler eher auf den Ball als auf ihn fokussiert ist. Durch diesen Richtungswechsel und die gegegleiche Dynamik wird das Momentum gebrochen, wodurch Zimmerschied zentral den Ball in den  offen Fuß erhalten kann und somit beste Voraussetzungen für eine gute Anschlussaktion hat.

Zimmerschieds direkter Gegenspieler kann nach dem Momentumbruch nicht mehr effektiv in die Aktion eingreifen, da er durch die gegenläufige Bewegung und den Hackenpass aus dem Rhythmus gebracht wurde. So erhält Zimmerschied den Ball mit Raum und Zeit, kann aufziehen und einen flachen Steckpass in die Tiefe auf Petkov spielen.

Dessen enge Ausgangsposition im Zwischenraum ermöglicht ihm ein optimales Einschalten in die Szene. Der Tiefenlauf bringt ihn in eine 2gg1 Situation gegen den Lauterer Torhüter, eine sehr vielversprechende Situation, die jedoch nicht verwertet werden kann.

Auch in dieser Szene im hohen Spielaufbau lassen sich die gleichen Abläufe klar erkennen: Der Innenverteidiger dribbelt aus der Halbspur auf Flügel, zieht damit den gegnerischen Block seitlich und schafft Raum im Zentrum.

Der ballnahe Stürmer kippt ins Zentrum des Spinnennetzes ab. Zeitgleich bietet sich der ballferne Stürmer diagonal in seinem Rücken an, um einen Hackenpassoption zu ermöglichen.

Der AV und der ballnahe Sechser bieten sich leicht abgestuft als Steil-Klatsch-Optionen, während der Flügelspieler die Breite, für eine mögliche Steil-Steil-Kombination hält, diese Optionen befinden sich in seinem Sichtfeld

ELV gg FCH 52te Minute

Letztlich entscheidet sich Pinckert gegen die Zwischenstationen und spielt den Ball direkt in die letzte Linie auf Damar. Dieser kann den Pass jedoch nicht optimal verarbeiten, wodurch der gegnerische Verteidiger den Ball leicht abfälschen kann und so einen offenen Zweikampf um den zweiten Ball einleitet.

Hier zeigt sich der strukturelle Vorteil des Spinnennetzes im Umschaltmoment: Vier Elversberger Spieler befinden sich bereits in direkter Nähe zum Ball, gut abgestuft und mit unterschiedliche Zugriffswinkeln. Sofort ein intensives Gegenpressing eingeleitet werden. Letztendlich gelingt es Damar, den Ball doch noch zu sichern und so den Ballbesitz in einem letzten Drittel zu behaupten.

Gegenpressing aus dem Spinnenetz

Während in den ersten beiden Szenen die Inside Diagonal von einem auf den Flügel gedribbelten IV gespielt wird so kann es bei aggresiverem Pressing durchaus der Fall sein, dass der AV den diagonalen Pass ins Zentrums spielt.

ELV gg FCH 8te Minute Ausgangsituation

Le Joncour spielt den Ball auf Neubauer, der bewusst verzögert, um seinen Gegenspieler anzulocken und dadurch mehr Raum für die Mitspieler zu schaffen. Die grundsätzlichen Bewegungsmuster im Angriff bleiben zunächst identisch mit den vorherigen Szenen: ein Stürmer kippt,ab der anderen bewegt sich in dessen Rücken und der ballnahe 6er biete sich als Klatsch-Option für den Stürmer an.

Auffällig ist jedoch eine zentrale Anpassung: Anders als zuvor kippt in dieser Szene zusätzlich der Flügelspieler leicht ab, um sich als Steil-Klatsch-Option anzubieten. Der Grund dafür liegt in der veränderten Passdynamik – die Inside Diagonal wird dieses Mal nicht vom IV, sondern vom AV gespielt.

Dies signalisiert, dass das Stei-Klatsch Angebot gegenüber des Steil-Steil-Angebots  priorisiert wird . Letztere Variante gilt durch ihre doppelte Tiefendynamik ohnehin als technisch anspruchsvoll und risikobehafteter. Ein Ballverlust nach einem fehlgeschlagenen Steil-Steil auf Außen würde besonders schwer wiegen, da der AV als Gegenpressing-Absicherung direkt dahinter fehlt.

Sahin gelingt es, sich durch eine clever getimte Auftaktbewegung vom Gegenspieler zu lösen und sich so mit offener Körperstellung anspielbar zu machen. In dieser Situation wäre ein Klatschball auf Sahin die naheliegendere und strategisch bessere Anschlussaktion gewesen. Stattdessen entscheidet sich Asllani dafür, selbst aufzudrehen eine suboptimale Entscheidung, da er dabei in den Druck des Gegenspielers hineindreht und das Spielfeld nur eingeschränkt vor sich hat. Ein einfacher Klatschball auf Sahin hätte es diesem ermöglicht, mit Blick nach vorne aufzuziehen oder alternativ Petkov ins Spiel zu bringen, der durch seine enge Positionierung gut in die Szene hätte eingebunden werden können.

Situatives Abkippen der 6er in den Aufbau

Ein Abkippen des Sechsers in die letzte Linie ist im modernen Fußball oft weniger ein Stilmittel als vielmehr ein Symptom für Planlosigkeit oder fehlende Optionen im Aufbau. Spieler erkennen zwar, dass der Spielvortrag stockt, reagieren jedoch mit einer Maßnahme, die das eigentliche Problem meist nicht löst: Im Aufbau wird ein +1 hergestellt, während dem Mittelfeld genau jener Spieler fehlt, der helfen könnte, hinter die gegnerische Mittelfeldlinie zu gelangen, was gerade das eigentliche Ziel ist.

Auch in Elversberg wird in schwierigen Phasen des Spielvortrags auf das Abkippen zurückgegriffen doch immer mit einem klaren strategischen Plan. Es handelt sich nicht um eine Notlösung, sondern um eine strukturierte Maßnahme, um Dynamiken zu erzeugen, den Gegner in Bewegung zu bringen oder gezielt Zonen für Anspiele zu öffnen.

In der 15ten Spielminute der Auswärtspartie gegen den 1. FC Kaiserslautern lässt Elversberg den Ball zunächst ruhig in der ersten Aufbaulinie zirkulieren, ohne dabei Raumgewinn zu erzielen. Um das Spiel vorwärts zu bringen, kippt Sahin gezielt aus dem Mittelfeld ab. Diese Bewegung dient nicht primär dem Ballbesitz, sondern um seinen Gegenspieler mitzuziehen und dadurch das Zentrum für einen vertikalen Ball zu öffnen.

Der entstehende Raum wird von Le Joncour erkannt und genutzt: Er spielt einen mutigen Pass direkt in die Spitze auf Asllani. Doch obwohl der Pass formal erfolgreich ist, kann das anschließende Potenzial der Szene nicht vollständig ausgeschöpft werden. Asllani steht mit dem Rücken zum Tor, ohne nennenswerte Klatschoptionen in seiner unmittelbaren Umgebung. Dadurch ist er gezwungen, unter Gegnerdruck aufzudrehen, was auch zu einem Ballverlust führt und den kurzzeitig erarbeiteten Vorteil wieder neutralisiert. Diese Szene verdeutlicht, wie wichtig Anschlussoptionen nach einem vertikalen Durchbruch sind ohne sie bleibt ein strategisch wertvoller Pass wirkungslos: Prinzip: Für jeden geschlossenen Spieler, einen offenen Spieler als Klatschoption

FCK gg ELV 15te Minute

In dieser Szene kippt Fellhauer zwischen die IVs ab, nachdem er den Ball erhält dribbelt er kurz an, spielt den Ball auf den IV zurück und bewegt sich hinter die Mittelfeld Linie des Abwehrblocks vom HSV.

ELV gg HSV 30te Minute

Fellhauers Freilaufbewegung nach der Passabgabe stellt den Gegner vor gleich mehrere Probleme. Zum einen entsteht Zuordnungsdruck auf die gegnerischen Mittelfeldspieler: Geht ein Gegenspieler mit so wird der Abwehrblock destabilisiert und es öffnen sich Räume, wie zum Beispiel der ballferne Halbraum den Pinckert diagonal anspielen könnte. Folgt niemand so kann entweder ein langer Ball in Richtung des Scheitelpunkts des Dreiecks auf Schnellbacher, Petkov und Fellhauer gespielt werden oder man versucht ein 2gg1 in zwei Ebenen gegen den gegnerischen linken 8er kreieren.

In dieser Szene entscheidet sich Elversberg für die zweite Variante: Sickinger lässt sich halblinks aus dem Sechserraum zurückfallen und wird nach einem Pass von Pinckert nicht direkt unter Druck gesetzt. Statt sofort weiterzuspielen, nutzt er die Zeit zum Andribbeln in Richtung des linken Achters des HSV. Durch dieses Andribbeln entsteht gezielt eine 2gg1-Situation über zwei Ebenen gegen den linken Achter , dieser wird zum Herausrücken gezwungen. In genau diesem Moment löst sich Fellhauer aus dessen Rücken und wird frei anspielbar. Da Petkov und Schnellbacher die letzte Linie auf der linken Seite binden, bleibt den IVs der Zugriff auf Fellhauer verwehrt. Diese Szene zeigt, wie man gegen einen tiefen, passiven Abwehrblock durch das gezielte Kreieren von lokalen 2gg1 Situationen in den Zwischenlinienraum eindringen kann.

Muster und Prinzipien im Angriffsspiel:

Leiterspiel

Eine Konstante im Elversberger (Angriffs-)Spiel sind die diagonalen Leitern, sie werden auch im Angriffsspiel regelmäßig genutzt. Immer wieder schaffen sie es, diese Struktur dynamisch auszubilden und so diese momentan noch unterschätzte Struktur auszuspielen. Die Vorteile lagern sich ähnlich wie bei der Verwendung im Aufbauspiel.

Eine besonders effektive Variante beim Ausspielen der Leiterstruktur ist die Kombination aus einem Schattenpass mit anschließendem Tiefenlauf. Dabei lässt der Spieler in der Mitte der Leiter den Ball bewusst passieren, sodass ein höher positionierter Mitspieler auf der nächsten Stufe den Pass empfangen kann. Dieser Möglichkeit erzeugt gezielte Verunsicherung in der gegnerischen Defensive, da unklar ist, welcher Spieler tatsächlich den Ball bekommt, was Zuordnungsprobleme und verzögertes Defensivverhalten provoziert.

 

SVD gg ELV 26te Minute

In dieser Szene vermuten die Verteidiger einen Pass auf Sickinger in der Mitte der Leiter. Vor allem der RV von Darmstadt blickt überwiegend auf Sickinger und orientiert sich stärker an ihm als an Zimmerschied, der die Spitze der Leiter bildet. Durch den Schattenpass von Sickinger erhält letzterer jedoch den Ball. Aufgrund der „Verwirrung“ um Sickinger hat Zimmerschied mehr Zeit und Raum, um anzudribbeln. Gleichzeitig startet Sickinger einen Tiefenlauf, um so Zimmerschied eine gute Anschlussaktion anzubieten

Durch sein Dribbling bindet Zimmerschied sowohl den RM als auch den RV des Gegners, die sich beide auf ihn fokussieren. Infolgedessen bleibt der zuvor gestartete Tiefenlauf von Sickinger nach dem Schattenpass unbeachtet. Da kein Gegenspieler seine Bewegung aufnimmt, kann er ungestört in die Assistzone einlaufen, wo er schließlich von Zimmerschied bedient wird.

Diese Szene verdeutlicht, wie wirkungsvoll die diagonale Leiterstruktur sein kann, insbesondere beim Wechselspiel von Zentrum über den Flügel zurück ins Zentrum. Selbst wenn der Tiefenlauf von Sickinger aufgenommen worden wäre, hätte Elversberg weiterhin mehrere vielversprechende Anschlussoptionen zur Verfügung gehabt:

Hätte der RM Sickingers Lauf verfolgt, wäre Zimmerschied in ein isoliertes 1gg1 mit dem RV geraten. Durch das Sickingers Tiefenlauf ins Zentrum hätte er dieses für Zimmerschied geöffnete, in welches er dann entweder eindribbeln oder einpassen könnten. Hätte stattdessen der rechte Achter auf Sickingers Lauf reagiert und RM und RV hätten Zimmerschied gemeinsam gedoppelt, könnte mit Damar einen offenen Ankerspieler gefunden werden, der im Zentrum mehrere gute Anschlussoptionen gehabt hätte.

Diese flexible Struktur ermöglicht es Elversberg, auf verschiedene Reaktionen des Gegners mit passenden Lösungen zu antworten.

Auch nach dem bereits erfolgten Pass gelingt es Elversberg, die Leiterstruktur dynamisch auszubilden. In dieser Szene spielt Le Joncour einen scharf geschnittenen diagonalen Pass. Zimmerschied bewegt sich aus einer hohen Position entgegen, um den Ball zu empfangen. Gleichzeitig agiert Asllani gegengleich: Aus einer etwas tieferen Position schiebt er vertikal nach vorn und bewegt sich in Zimmerschieds Rücken, wodurch sich eine neue diagonale Leiter-Verbindung ergibt.

Zimmerschied ist sich Asllanis Laufweg bewusst und leitet den Ball mit einem präzisen Hackenpass in dessen Radius weiter, ohne diesen im Rücken direkt sehen zu müssen. Diese blinde, aber abgestimmte Weiterleitung basiert auf einstudierter Bewegungsmechanik und gegenseitigem Raumverständnis. Ein exzellentes Beispiel für die hohe Automatismen- und Timingsqualität im Elversberger Spiel.

ELV gg EBS 3:0

Da Zimmerschied jedoch nicht exakt weiß, wo sich Asllani befindet, spielt er den Hackenpass nicht punktgenau in dessen Lauf oder Fuß. Asllani muss deshalb zwei Schritte entgegenkommen, um den Ball aufzunehmen. Diese Bewegung setzt er jedoch fort, währenddessen Zimmerschied in seinen Rücken einläuft

Asllani gelingt es, die Momenta seiner Gegenspieler zu brechen, indem er den Ball entgegengesetzt zur Bewegungsdynamik seiner beiden Gegenpieler mitnimmt, eine kleine, aber extrem wirkungsvolle Aktion. Da Zimmerschied Asllanis Rücken beläuft um so einen potenziellen Hackenpass  zuempfangen, kann er den Ball in voller Dynamik aufnehmen und in Richtung Strafraum dribbeln.

Im Anschluss tunnelt Zimmerschied mit seinem Pass auf einstartenden Damar den letzten Verteidiger, wodurch Damar frei vor dem Tor steht und mühelos abschließen kann.

ELV gg FCH 61te Minute

Doch nicht jede Leiterstruktur kann erfolgreich ausgespielt werden. Zwei zentrale Begriffe bestimmen dabei den Erfolg: Timing und Storytelling. Wenn der Gegner auf genau diese Muster vorbereitet ist und das Timing oder das Storytelling nicht stimmig sind, lassen sich auch dynamische Kombinationen mit Leichtigkeit unterbinden.

In dieser Szene etwa startet Asllani unmittelbar nach seiner Passabgabe in die Tiefe. Sein direkter Gegenspieler lässt sich jedoch nicht täuschen, er erkennt frühzeitig, dass es sich um eine Täuschung handelt um so den Pass auf die nächste Leiterstufe zuermöglich. Nimmt also Asllanis Bewegung nicht auf und kann den Ball vor dem eigentlich angedachten Schattenpass Empfänger abfangen.

Ein besseres Storytelling, also das Erzählen eines Märchens (falsche Geschichte) mit Körperstellung und oder Blickrichtung hätte hier helfen können: Beispielsweise durch eine Körperstellung, die zunächst einen anderen Pass oder eine andere Bewegung suggeriert, um so den Verteidiger auf eine falsche Fährte zu locken. In Kombination mit einem besseren Timing, etwa dem Abwarten mit dem Tiefenlauf bis unmittelbar nach dem der Ball Asllani passierte, hätte der Gegner weitaus schwerer Zugriff auf die Situation bekommen.

Gerade deshalb wird es spannend zu beobachten sein, wie schnell beim SV Werder Bremen (im Kontext einer möglichen Übertragung dieser Prinzipien) solche fein abgestimmten Automatismen und Timings verinnerlicht und umgesetzt werden können.

Diagonale Boxläufe

Nicht nur im Passspiel legt Horst Steffen großen Wert auf Diagonalität, auch die Laufbewegungen in die Tiefe folgen häufig diesem Prinzip, besonders aus dem ballfernen Halbraum. Diese diagonalen Tiefenläufe sind ein zentrales Element im Offensivspiel der SV Elversberg und basieren auf ähnlichen Vorteilen wie diagonale Pässe:
Sie zwingen die verteidigende Mannschaft dazu, auf mehreren Achsen gleichzeitig zu reagieren, vertikal wie horizontal und bringen so nicht nur die defensive Ordnung ins Rütteln, sondern brechen auch das Momentum einzelner der Verteidiger. Insbesondere wenn die Tiefeläufe auf dem ballfernen Halbraum starten, da sie so entgegengesetzt zur Verschieberichtung der Verteidgung schneiden.
Während ein vertikaler Lauf meist nur eine Linie bindet oder eine direkte Tiefe erzeugt, öffnet der diagonale Lauf neue Räume im Zwischenlinienraum, da er Schnittstellen durchquert und Gegenspieler aus Position zieht.

Besonders effektiv sind diese Bewegungen deshalb, weil die Spieler dabei oft mit geöffneter Körperstellung agieren können: Sie empfangen Zuspiele mit Blickfeld zum Tor und sind zudem besser in der Lage, direkte Weiterleitungen, Ablagen oder Kombinationen mit dem ersten Kontakt zu spielen, als wenn sie den Ball nach in einen vertikalen Tiefenlauf erhalten. Dadurch entsteht eine Dynamik, die schwer zu kontrollieren ist sowohl im Umschaltmoment als auch gegen geordnete Abwehrblöcke.

In dieser Szene kippt Sahin in einen Raum ab, der zuvor durch ein Spiel und Geh gezielt geöffnet wurde. Nach dem Zuspiel verzögert er kurz (La Pausa), um das Herausschieben der Verteidiger zu provozieren. Währenddessen hat Petkov bereits seinen diagonalen Tiefenlauf aus dem ballfernen Halbraum gestartet. Durch das kurze Zögern Sahins kann Petkov optimal den Moment nutzen, in dem die Abwehr verschiebt, und deren Bewegung kreuzen. So wird das Momentum der Defensive gebrochen, Petkov schneidet buchstäblich durch die Verschieberichtung der Kette, was das Verteidigen extrem erschwert.

ELV gg KSC 23te Minute

Sahin findet Petkov anschließend per Chip. Dieser hat aufgrund des Brechens der Verteidigungsdynamik einen Momentumvorteil gegenüber den Verteidigern und durch den Entscheidungsvorteil gegenüber seinem direkten Gegenspieler, der seinen Lauf aufnimmt, einen Dynamikvorteil. So schafft er es, in der Box den Ball zu behaupten. Allerdings fehlt ihm am Ende der Blick für den besser positionierten Mitspieler, sodass der Karlsruher Keeper zur Ecke klären kann.

Für diese diagonalen Tiefenläufe sind die Besetzung der Halbspuren unabdingbar, in dieser Situation sorgt die Besetzung diese dafür, dass das Zentrum geöffnet, sodass ins Zentrum eindribbeln kann und zudem nimmt Fellhauer durch seine Position im Rücken des 6ers eine essenzielle Rolle ein

ELV gg FCH 1:1

Durch Zimmerschieds Dribbling zieht er drei Gegenspieler auf sich, die alle rausschieben, um Druck auf ihn auszuüben. Parallel werden aus beiden Halbspuren diagonale Tiefenläufe in die Box gestartet.

Insbesondere Fellhauers Positionierung im Rücken seines direkten Gegenspielers erweist sich als spielentscheidend. Da auch dieser auf Zimmerschied herausrückt, entsteht auf der rechten Seite eine 2gg1-Situation gegen den Heidenheimer IV. Dieser wird nun in ein klassisches Entscheidungsdilemma gedrängt: Entweder er verfolgt Fellhauers Laufweg und riskiert, dass Petkov angespielt werden kann, oder er hält die Position und überlässt Fellhauer die Tiefe.

Er entscheidet sich für einen Zwischenweg, lässt sich leicht fallen und versucht, beide Passwege gleichzeitig zu verteidigen. Doch Fellhauer hat durch seinen Laufweg und das Timing des Zuspiels einen klaren Dynamikvorteil. Da er den Ball in vollem Tempo erhält, kann Mainka dem Antritt nichts entgegensetzen. Er versucht zwar den Ball irgendwie zuklären in dem er auf den Boden geht, doch dies gelingt ihm nicht.

Für das effektive Nutzen diagonaler Tiefenläufe ist es entscheidend, den Gegner zuvor durch Druck auf den Ballführenden gezielt durch Andribbeln oder „La Pausa“ herauszulocken. Hierzu sind Spieler, die gut mit dem Druck spielen können und unter Druck trotzdem noch die richtige Entscheidungen treffen und ausführen können, unverzichtbar. Durch dieses Locken brechen die diagonalen Läufe die defensive Dynamik. Zudem ist dabei die Besetzung der Halbspuren wichtig, da von dort aus sowohl die Tiefenläufe gestartet als auch die entscheidenden Pässe gespielt werden können.

Enge Flügelspieler

Viele Mannschaften nutzen das Prinzip: „den Gegner hoch und breit binden“. Häufig übernehmen die Flügelspieler dabei die Rolle als Ankerspieler in der Breite. Ziel ist es, durch das konsequente Binden der gegnerischen AVs in einer sowohl hohen als auch breiten Position die gegnerischen Verteidigungslinien maximal auseinanderzuziehen (horizontal durch die breite Staffelung, vertikal durch die hohe Positionierung) um entweder 1gg1 Situationen in der Breite herzustellen oder um so Räume in der Zentrums- oder Halbspur zu öffnen.

Bei der SV Elversberg lässt sich dieses Prinzip im Angriffsspiel nur selten erkennen. Oftmals rücken die nominellen Flügelspieler ins Zentrum oder in die Halbspuren ein, bedrohen also extrem die Tiefe mit einer 3-4 Spielern, jedoch wird dabei nicht in der Breite gebunden. Währenddessen verbleiben  die AVs meist in einer tieferen Position (oft auf Höhe der Sechser) verbleiben. Dadurch verschiebt sich die Breitengebung im Angriffsspiel weg vom klassischen Flügelspiel und hin zu einem stärker zentrumsorientierten Approach.

ELV gg HSV 30te Minute

Nachdem der Ball Asllani erreicht, startet Neubauer seine Bewegung. Fellhauer bietet sich Asllani nach einer Spiel und Geh-Bewegung an und erhält den Ball zurück und bespielt Tief auf den Flügel. Durch Neubauers Position entstehen entscheidende Zuordnungsprobleme für den Gegner:

Der gegnerische RV wird durch die Einrückbewegung des nominellen Flügelspielers (Damar) zentral gebunden. Gleichzeitig zwingt die hohe Präsenz in der Zentrums- und Halbspur den gegnerischen ballnahen Flügelspieler, dazu ebenfalls ins Zentrum zu rücken, um Pass- und Dribblingwege zu versperren und den Defensivblock kompakt zu halten, sodass niemand direkt auf Neubauers Tiefenlauf reagieren kann. Durch diesen extremen Dynamikvorteil kann Neubauer den Tiefball von Fellhauer ohne Probleme erlaufen und durch die tororientierte Körperstellung in einer aussichtsreichen Position zur Flanke ansetzten.

Ein weiterer Vorteil der Zentrumsfokussierung lässt sich direkt erkennen: Sie bildet eine gute Grundlage für eine effektive Boxbesetzung und Grundstaffelung rund um den Strafraum. Dadurch gelingt es Elversberg, nach Ballverlusten im Zentrum schnell Druck auf den Gegner auszuüben und zweite Bälle zu erobern. Zudem schaffen sie es, die gegnerische Verteidigung tief in den Strafraum zurückzudrängen. Das öffnet häufig den Rückraum, sodass nachrückende Spieler, häufig die 6er zu guten Abschlusssituationen aus der zweiten Reihe kommen.

In dieser Szene wird der Vorteil der engen Staffelung der Elversberger in Ballnähe besonders deutlich. Nachdem Zimmerschied auf dem Flügel durchbricht und den Rückpass ins Zentrum spielt, kann ein Nürnberger Verteidiger den Ball zwar klären, jedoch unkontrolliert. Aufgrund der hohen Präsenz in Ballnähe entsteht eine unmittelbare Gegenpressingsituation, in der Elversberg in alle möglichen Klärungsrichtungen Zugriff hat.

FCN gg ELV 63te Minute

Besonders relevant ist hierbei die Positionierungen von Neubauer, Sahin und Schmahl, die sich bewusst leicht versetzt, also einige Meter hinter ihren direkten Gegenspielern positionieren. Diese Positionierung verleiht dem Gegenpressing zusätzliche Tiefe: Statt nur auf den Ball zu reagieren, können sie Klärungen aus der Tiefe anlaufen, mit Dynamik Druck aufbauen und gegnerische Umschaltbewegungen direkt unterbinden. Gleichzeitig entsteht so ein erster Ring der Restverteidigung. Da sie nicht in direkter Mannorientierung stehen, sondern mit einem gewissen Abstand agieren, können sie flexibel auf Ballverlust und Spielverlagerungen reagieren, ohne sofort überspielt zu werden. Die Staffelung schafft also nicht nur Präsenz im Gegenpressing, sondern sichert auch potenzielle Kontersituationen effektiv ab.

Nachdem Neubauer den Ball aufnimmt und Sahin anspielt, bewegt sich Feil, der nominelle Rechtsaußen, noch weiter auf die Ballseite, wodurch noch mehr Raum für den bereits offenen und freistehenden Baum geöffnet wird. Dieser hat so genug Zeit, den Ball ohne Gegnerdruck anzunehmen und mit dem zweiten Kontakt aufs lange Eck abzuschließen und so auf 2:1 für die SVE zu erhöhen.

Diese Szenen verdeutlichen exemplarisch die Vorteile enger Flügelspieler und ballnaher Überladungen:
Durch die inverse Positionierung der Außenspieler und das Überladen in Ballnähe entsehen Räume auf den Aussen, die AVs bespielen können und  so dynamisch in Flanken- oder Abschlusspositionen kommen. Gleichzeitig ermöglicht die enge Staffelung eine gezielte Boxbesetzung und schafft durch die hohe Präsenz in Ballnähe sehr gute Voraussetzungen für ein sofortiges Gegenpressing. Aber zur erfolgreichen Umsetzung dieser Spielprinzipien, braucht es Spieler mit hoher technischer Qualität, die auch unter großem Gegnerdruck in engen Räumen präzise agieren können. Ebenso ist ein ganzheitliches taktisches Verständnis von nöten: Die Spieler müssen in der Lage sein die Situation, die gegnerische Staffelungen und gruppentaktische Dynamiken schnell zu erfassen und daraus passende Entscheidungen abzuleiten.

Spiel und Geh/Aktive Positionsfindung

Eine auffällige Konstante im Spiel der SV Elversberg ist die konsequente Anschlussbewegung nach dem Abspiel. Abgesehen von den Innenverteidigern und dem Torwart ist es nahezu ausgeschlossen, dass ein Spieler nach einem Pass stehen bleibt. Stattdessen folgt unmittelbar eine neue Positionierung, sei es durch Läufe in die Tiefe, Abkippen oder seitliches Freilaufen. Diese permanente Bewegung erzeugt auf gegnerischer Seite regelmäßig Zuordnungsprobleme: Orientiert sich der Gegenspieler am Ball, kann der Passgeber durch seine Freilaufbewegung erneut anspielbar werden. Nimmt er hingegen die Bewegung auf, öffnet dies Räume für andere Spieler, die in den frei gewordenen Raum stoßen können:

 

ELV gg KSV 23te Minute

Letztere Möglichkeit zeigt sich exemplarisch in dieser Szene: Zimmerschied spielt den Ball nach außen und starten einen Lauf in Richtung gegnerisches Tor. Durch diese Anschlussbewegung bindet er die beiden Gegenspieler in seiner unmittelbaren Nähe, die seinen Lauf. Dadurch wird der gegnerische Block weiter hinten reingedrückt und es öffnet sich ein Raum vor dem gegnerische Block. In genau diesen Raum kippt Sahin ab, wird von Neubauer angespielt und hat so die Zeit und den Raum, um den diagonal in die Tiefe startenden Petkov per Chip zufinden.

 

In dieser Situation zeigt sich der andere mögliche Vorteil der Zuordnungsprobleme, die durch die aktive Positionsfindung der Elversberger entstehen:

ELV gg KSC 27te Minute

Sahin spielt den Ball zu Zimmerschied und startet direkt einen Tiefenlauf. Auch Zimmerschied leitet den Ball sofort weiter zu Damar und startet seinerseits eine Tiefenbewegung. Die beiden Gegenspieler in seiner unmittelbaren Nähe sind dabei stark ballorientiert, wodurch sie seine Anschlussbewegung nicht aufnehmen können. Zimmerschied wäre somit in einer dynamischen, toroffenen Position erneut anspielbar gewesen ein Moment, der schwer zu verteidigen ist, da er aus der Bewegung heraus agiert, sich von seinen Gegenspielern löst und so ohne aktiv bedrängt zu werden den Ball aufnehmen könnte. Damar entscheidet sich jedoch für einen Klatschball zurück zum IV, sodass diese spannende Dynamik ungenutzt bleibt.

Diese Szenen verdeutlicht, wie die SVE durch konsequente Anschlussbewegungen nach einem Pass Zuordnungsprobleme beim Gegner erzeugt. Wenn solche Bewegungen im richtigen Moment erkannt und genutzt werden, entstehen aussichtsreiche Situationen mit Raum, Dynamik oder offener Körperstellung, ein wichtiger Grundbaustein für gefährliche Aktion im Angriffsdrittel.

Preview und grobe Spielerprofile

Schaut man sich den Fussball von Horst Steffen genauer an, so zeigt sich, dass Spieler alle auf einem technisch hohen Grundniveau spielen müssen, zudem ist ihm die menschliche Komponente auch extrem wichtig (Quelle: Podcast from Coach to Coach), doch welche genaue Profile werden auf den Position in seiner präferieten 14231 Grundordnung benötigt?

Torwart

Der Torhüter nimmt eine zentrale Rolle im Aufbau ein nicht als passiver Passgeber, der den Ball schnellstmöglich wieder loswerden soll, sondern als aktiver 11ter Feldspieler und Strukturgeber. Er ist der +1-Spieler im Aufbau, der durch sein Mitspielen dem gegnerische Team das Pressing möglichst schwer und es dem eigenen Team möglichst leicht machen soll, dieses zu überspielen. Dabei agiert er nicht nur im eigenen Strafraum, sondern in der gesamten eigenen Hälfte, oftmals zwischen den breit aufgefächerten IV in einer Torwartkette. Sollte der Druck jedoch zu groß werden so kann auch gernmal der lange Exitball gespielt werden.

Hierfür sollte der Keeper über folgende Eigenschaften verfügen:

  • Saubere flache Druckpässe mit beiden Füßen, auch unter Gegnerdruck und mit einer möglichst hohen Reichweite
  • Aktives Anbieteverhalten, um stets als Anker anspielbar zu sein
  • Antizipation, um Passoptionen und das Spielgeschehen im Voraus zu erkennen
  • Mut und Ruhe im Spiel gegen anlaufende Stürmer

Sie übernehmen bei Horst Steffen eine Schlüsselrolle zur Progression des Balls im eigenen Spiel. Besonders gegen ein passives Pressing liegt es an ihnen, durch mutiges Andribbeln oder raumöffnende Pässe den Ball in die nächste Ebene zu bringen, Dabei ist Progressivität im Passspiel und eine gewisse Risikobereitschaft essenziell, um den Gegner zu binden und dessen Block zu verschieben.

Der Ballführende Innenverteidiger ist häufig der Impulsgeber für die nächsten Aktionen: durch ein Anlocken des Gegners per Dribbling, gezielte progressive Pässe in die Zwischenräume oder das Bespielen von Zielräumen hinter der ersten Pressinglinie. Nur durch diese Initiative gelingt es Elversberg regelmäßig, aus dem Aufbau heraus Tempo und Dynamik zu erzeugen.

Hierfür sollten die IVs über folgende Eigenschaften verfügen:

  • Mut, mit dem Ball am Fuß in offene Räume vorzustoßen, um den Gegner zu binden, zu locken oder um Dynamik zu erzeugen
  • Technische Fähigkeit, mit flachen, scharfen Pässen Linien zu überspielen. Hohe Präzision und Schärfe bei progressiven Pässen in zentrale Räume (Halbspur oder Zehnerraum) oftmals direkt zu den Stürmern.
  • Ruhe bei aggresivem Pressing um auch in stressigen Situationen die richtige Entscheidung zu treffen und auch sauber auszuführen
  • Verantwortung übernehmen, um das Spiel nach vorne zu treiben, wenn der Gegner passiv agiert.

Auf dieser Position könnte Julian Malatini eine interessante Option darstellen. Zwar kam er in der vergangenen Saison lediglich auf etwas mehr als 500 Einsatzminuten, zeigte jedoch in dieser begrenzten Spielzeit klare Stärken im Andribbeln, Ballschleppen und progressiven Passspiel. Dabei liegen seine Stats, die in diesen Bereichen deutlich über denen von Friedl, Stark und Pieper liegen. Zudem kommt Malatini aus der Halbverteidigerrolle einer Dreierkette, was Lukas Pinckert erinnert, der letzte Saison eine Schlüsselrolle bei der Elv einnahm. Dadurch ist er es gewohnt, nach vorne zu verteidigen und aktiv in Zwischenräume vorzustoßen, ein Verhalten, das gut zur ballorientierten und aggressive Restverteidigung sowie das Gegenpressing im Fussball von Steffen passt.

Außenverteidiger

Diese agieren als klassische Flügelverteidiger mit hoher Verantwortung und Hauptfokus auf die Außenspur. Sie müssen diese häufig alleine bespielen sowohl im Aufbau als auch in Angriffsspiel. Dabei belaufen sie dynamisch die Außenbahn, wenn diese durch das Einrücken der Flügelspieler geöffnet wird, und stoßen mit Tempo in Flanken- oder Abschlusszonen vor. Besonders auffällig ist ihr Einrücken aus der Tiefe: Wenn sie ballfern zunächst in der Restverteidigung positioniert sind, attackieren sie oft spät und mit Dynamik den zweiten Pfosten, ein typisches Muster im Offensivspiel

Hierfür sollten die IVs über folgende Eigenschaften verfügen:

  • Gutes Timing und Dynamik beim vorstoßen ins letzte Drittel
  • Flankenqualität aus Tiefenläufen heraus, mit 1 oder 2 Kontakten
  • Spielintelligenz: In den Angriff eingreifen oder Restverteidigung bilden
  • Passqualität in flachen Kombinationen
  • Hohes Laufpensum, im Volumen und Intensität

Die Rolle könnte möglicherweise von Felix Agu bekleidt werden.Er ist es gewohnt, die Außenbahn eigenständig zu bearbeiten, überzeugt mit starken Laufwerten und tauchte in der vergangenen Saison wiederholt am zweiten Pfosten auf, auch seine Flankenstatistiken sind solide.
Wie gut er sich allerdings das Aufbau und das Passspiel integriert bleibt offen, da dies bislang nicht zu seinen Kernaufgaben zählte.

6er

Die Sechser im Spiel sind ein wichtiges Bindeglied zwischen der Verteidigungs- und Angriffslinie, sei es durch direkte Pässe oder das Freiziehen von Räumen, um direkte Zuspiele in die Angriffslinie zu eröffnen. Sie sind beweglich und agieren sehr ball- und kombinationsorientiert, befinden sich oftmals in engen Räumen, in denen sie mit 360°Perception und wenigen Kontakten arbeiten müssen. Sie müssen permanent Raum finden, Spiel-und-Geh-Muster bedienen und Tiefenläufe starten. Häufig schaltet sich einer der beiden Sechser aktiv ins Angriffsspiel ein, während der andere die Absicherung bildet.

Hierfür sollten die 6er über folgende Eigenschaften verfügen:

  • Hohes technisches Niveau (First Touch, Druckpässe mit dem ersten/zweiten Kontakt)
  • keine Scheu vor engen Räume und 360°  Perception
  • Aktive Positionsfindung
  • Spielintelligenten Entscheider, sodass sie die Situation erkennen,wie man sie „verbessern“ könnte und eine Entscheidung auch treffen (Tiefenlauf, entgekommen, etc)
  • Mut zu Risikoaktionen in engen Staffelungen
  • Gutes Timing, bei Abkippen oder nachstoßen in den Angriff

Außenspieler

Die nominellen Flügelspieler agieren häufig nicht in der Breite, sondern rücken ein in die Halbspur oder ins Zentrum. Sie sind dort sowohl Kombinationspartner als auch Tiefengeber. Ihre Bewegungen öffnen Außenbahnen für AVs, während sie selbst durch aktives Positionsspiel für Überladungen im Zentrum/ballnähe sorgen. Zudem sind sie oft Empfänger der diagonale Aufbauleiter, bei denen sie den Ball häufig in einer geschlossenen Körperstellung erhalten, aufdrehen oder direkt ins Zentrum spielen

Hierfür sollten die Winger über folgende Eigenschaften verfügen:

  • Kombinationsstark (Steil Klatsch, One-Touch, Räume attackieren)
  • Sehr gutes Timing und Raumgefühl in Einrückbewegungen sowie bei Tiefenlauf diagonal hinter die Kette
  • Technische Qualität für Aktionen mit wenig Raum (Steil-Steil Kombination)
  • Mit Gegnerdruck im Rücken aufdrehen und saubere Pässe spielen

10ner und Stürmer 

Der Zehner und der Stürmer übernehmen eine essenzielle Rolle in Horst Steffens Spielidee. Viele Offensivaktionen laufen über diese beiden Spieler, da sie sowohl im Ballbesitzspiel als auch im öffnen von Räumen für andere eine tragende Rolle einnehmen. Sie agieren häufig in engen Räumen, kippen ins Spinnennetz, agieren als Wandspieler in Steil Klatsch Mustern oder werden als Anspielstation für den Dritten oder von Steil- Steil Kombination genutzt. Gleichzeitig übernehmen sie durch gezieltes Bewegungsspiel (z. B. Abkippen ins Mittelfeld oder durch das Kreuzen vor gegnerischen IVs) eine zentrale Rolle darin, gegnerische Zuordnungen terrorisieren und die Abwehr von Probleme zustllen. Sowohl der Zehner als auch der Stürmer müssen in der Lage sein, Bälle unter Druck zu sichern, Räume zu erkennen und in hohem Tempo technisch sauber zu agieren, ein gutes Timing im Abkippen haben. Sei es im Kombinationsspiel, beim Einleiten von Durchbrüchen oder beim Verwerten von Tiefenpässen in die Spitze.

Hierfür sollten die Stürmer über folgende Eigenschaften verfügen:

  • Wandspielerqualitäten mit Körper und Technik
  • Cleveres Bewegungsspiel: Tief gehen, absetzen, entgekommen, abkippen in die „richtigen“ Zonen (Spinnennetz)
  • Synergie mit den Mitspielern und Vororientierung zum ermöglichen einer effektiven Schattenpass Nutzung
  • Sehr guter erster Kontakt auch unter Gegnerdruck, zum Spielen von direkten Pässe, zur Vorbereitung vom Pass mit dem 2ten Kontakt oder direkten Aufdrehen
  • Gefühl für Gegengewichtsbewegung im Angriffsdrittel
  • Beteiligung an Kombinationen & Spiel über den Dritten

ND

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